Hannas Entscheidung
Magen. Hanna hatte seine Schwester in Gefahr gebracht mit ihrem Handeln. Das würde er ihr nicht verzeihen.
»Sie war sehr vorsichtig. Ich habe sie nicht erkannt, erst als sie die Perücke abnahm und mir sagte, wer sie ist, konnte ich überhaupt etwas mit ihr anfangen.«
»Weiter.«
»Tom war unterwegs auf einem Kongress. Wir redeten die ganze Nacht. Ich habe dir schon damals gesagt, dass sie etwas Besonderes ist!«
»Lisa, sie ist in einem Zeugenschutzprogramm. Sie war mehr tot als lebendig, als ich sie zu dir brachte. Ist dir klar, in was für eine Gefahr sie dich gebracht hat?« Bewusst versuchte Ben seinen Schwager damit auf seine Seite zu ziehen und sah, dass es ihm gelungen war.
»Ach ja? Und du?«
»Ich?«
»Ja, du. Du warst es, der in der Nacht zu mir gekommen ist. Du wohnst hier oben und du bist nach Rom geflogen!«
Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare, zog daran, bis der Schmerz sich in seinem Kopf bemerkbar machte.
»Weiter.«
»Nichts weiter.«
»Du kannst mir nicht erzählen, dass du sie dann erst wieder ...« Er brauchte etwas Zeit, um das Wort und den damit verbundenen Gedanken auszusprechen. Verflucht! In seiner Wohnung! »... gestern gesehen hast.«
»Wir haben uns einmal in Bonn getroffen, als ich einen Vortrag auf einem Kongress hielt.«
Das Klingeln des Telefons ließ all drei zusammenfahren. Die Waffe lag in Bens Hand. Lisa starrte ihn an, und er glaubte in ihrem Gesicht endlich zu lesen, dass sie verstand, wie gefährlich die Lage war. Sie legte beide Hände auf ihren Bauch, während Tom aufstand und zum Telefon ging.
»Dr. Jung.«
Langsam legte er den Hörer auf die Station. Seine Hand zitterte. »Aufgelegt.«
Ben stand auf. »Ihr packt jetzt eure Sachen zusammen und verschwindet von der Bildfläche.«
Tief atmete Lisa ein. »Das geht nicht. Wir haben Patienten und mein Geburtstermin ist in vierzehn Tagen. Wir können nicht von der Bildfläche verschwinden.«
»Das ist mir egal. Ihr verschwindet.«
»Nein. Und jetzt hörst du mir mal zu. Vermutlich war das gerade Hanna. Weil ich mir Sorgen um sie mache, habe ich sie gebeten, sich bei mir zu melden.«
»Warum hat sie dann nicht mit mir gesprochen?«, mischte sich ihr Mann zweifelnd ein.
»Was sollte sie sagen? Hallo, hier ist Julia?«
»Ja, genau.«
Lisa sah ihren Mann an und schüttelt den Kopf. »So ist Hanna nun mal nicht. Sie ist vorsichtig. Sie war die ganze Zeit, als sie bei uns war, vorsichtig.«
»Woher willst du das wissen? Sie hatte immer dieselben Klamotten an, ist den ganzen Tag in Berlin rumgelaufen«, ereiferte sich Bens Schwager, ohne dass Ben eine Vorlage liefern musste.
»Weil ich die Reste von Lidschatten, Lippenstift, Make-up und gefärbte Kontaktlinsen bei ihr gesehen habe. Sie mag bei uns immer gleich erschienen sein, aber sie ist vorsichtig gewesen. Außerdem macht sie mich wahnsinnig mit all ihren Sicherheitsregeln.« Sie biss sich auf die Lippe und schielte Ben an.
»Sicherheitsregeln!«
»Ja. Keine Telefonnummern, keine Adresse, nur handschriftliche Briefe.«
»Ihr schreibt euch?«
»Sie ist meine Freundin.«
Ein zweites Mal unterbrach das Klingeln des Telefons ihr Gespräch. Bevor Ben oder Lisa reagieren konnten, war Tom bereits am Telefon.
»Dr. Jung!«
Überrascht hob Ben die Augenbraunen. Er kannte Tom bisher nicht als Nervenbündel.
»Hi, Julia.« Er wandte sich zu ihm um, doch behielt er das Telefon fest in den Händen. Lisa streckte die Hand nach dem Hörer aus und übernahm das Gespräch.
»Julia, hast du vorhin schon mal versucht, uns zu erreichen?«
Ben verließ die Küche, während er mit seinem Handy anrief, um eine Fangschaltung zu aktivieren. Er hörte nur noch mit halbem Ohr hin.
»Ach so. Ja, natürlich können wir das so machen. Alles klar? – Ja – nein – später.« Mit einem Knopfdruck beendete sie das Telefongespräch.
Langsam drehte Ben sich um und stoppte seinen Anruf. Lisa funkelte ihn mit trotzig vorgeschobener Unterlippe an.
»Sie wird vorsichtig sein und kommen, wenn sie so weit ist.«
»Du hast keine Ahnung ...«
»Nein, will ich auch gar nicht haben, denn ich vertraue ihr.«
»Und mir nicht?«
»Im Moment? – Nein.«
Genauso gut hätte sie ihm ein Messer zwischen die Rippen stoßen können.
Er hatte geduscht und eine Schmerztablette eingeworfen und wollte gerade sein Pflaster selber wechseln, als Tom in der Tür stand.
»Komm, ich mach das«, bot er an.
Ben schwieg. Er hatte einfach keine Lust mehr zu reden. Viel lieber hätte er
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