Hannas Entscheidung
fort.«
»Okay, es gab insgesamt vier Häuser mit acht bis zwölf HIV-positiven Kindern. Drei dieser Häuser wurden von Krankenschwestern geleitet, eines von einer Ärztin, Dr. Rukia Mutai, die ebenfalls HIV-positiv war. Ihr Haus war das einzige, was bei dem Überfall in die Luft gesprengt wurde. Vielleicht wäre es nicht das einzige gewesen, wenn das nigerianische Militär nicht gekommen wäre.«
Lisa winkte ungeduldig ab. »Ist mir schon klar, was du sagen möchtest. Die Angreifer hatten es ganz besonders auf dieses Haus abgesehen.« Sie stopfte sich den Rest vom Keks in den Mund. »Was hat das mit einem Heilmittel für HIV zu tun?«, muffelte sie hervor.
»Bei keiner der Kinderleichen wurde bei der Obduktion HIV festgestellt.«
»Ein Fehler.«
»Zehn Mal?«
»Unwahrscheinlich. Hm, vielleicht hatten die Kinder gar kein HIV?«
»Aber sie bekamen Medikamente.«
»Das konntet ihr nachweisen?«
»Nein, aber das ging aus den Lieferungen des Herstellers an die Forschungsstation hervor, die dann wiederum die Medikamente verteilte.« Er verschwieg, dass Lukas Benner Medikamente mit reduziertem Wirkstoffanteil geliefert und aus diesem Grund später das Dorf überfallen hatte. »Die Forschungsstation wurde übrigens ebenfalls überfallen und die Computer zerstört, die Leiterin Dr. Frederike Schneider befand sich zum selben Zeitpunkt im Dorf und war unter den Opfern.«
Langsam legte Lisa den neuen Keks auf den Tisch, der sich schon auf dem Weg zu ihrem Mund befunden hatte. »Dr. Frederike Schneider?« Sie pfiff leise durch den Mund.
»Du kennst sie?«
»Nein, aber ich habe von ihr gelesen. Sie war in ihren Forschungen immer – drücken wir es mal vorsichtig aus – sehr unkonventionell. Eine Zeit lang lebte sie bei Indianerstämmen im Amazonas und hat von den Schamanen dort ein pflanzliches Mittel mitgebracht, das für die Behandlung von Diabetes zwei bei manchen Patienten hervorragende Ergebnisse erzielte. Du hast recht, ich habe letztes Jahr einen Nachruf über sie gelesen. Wusste gar nicht, dass sie in Afrika arbeitete.«
»Nun, von ihren Forschungen ist jedenfalls nichts mehr übrig geblieben.«
»Hatten sie nur ein internes Netzwerk oder waren sie an ein Rechenzentrum angeschlossen?«
»Die Forschungseinrichtung gehörte zu Medicare und sie war an das deutsche Rechenzentrum des Konzerns angeschlossen.«
»Dann besorgt euch doch einen Durchsuchungsbeschluss und prüft das.«
Ben verdrehte die Augen.
»Okay, okay, dann eine andere Frage. Nehmen wir mal an, du hast recht, und Dr. Schneider, womöglich in Zusammenarbeit mit dieser Dr. Mutai, findet ein Heilmittel gegen HIV. Warum hat es Medicare nicht vermarktet?« Sie beugte sich vor und ihre Augen fingen an zu leuchten. »Stell dir nur mal vor, was das für Länder mit einer hohen Infektionsrate bedeutet. Es gibt Studien über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Krankheit, weil durch sie ganze Generationen vom Aussterben bedroht sind. Wer macht die Arbeit? Wer zieht die Kinder groß? Wer regiert? Oder die Frauen, die vergewaltigt werden. Weißt du, wie viele von ihnen infiziert wurden? Mal ganz abgesehen von dem seelischen Schmerz?«
»Das wäre ein Aspekt. Du meinst, es geht nicht allein um Profiteinbußen, sondern um Stabilität?«
»Wie? Hey, ein Unternehmen, das ein Heilmittel gegen HIV auf den Markt bringt, ist der Held! Das ist schon fast so was wie die Entdeckung des Penicillins. So was jagt man nicht in die Luft.«
»Vielleicht doch, und vielleicht ist genau das der Grund, weshalb sie hinter Hanna her sind. Nicht aus Rache –, sondern aus Angst, dass sie etwas weiß, was sie nicht wissen darf.«
»Aber wieso sollte Hanna davon etwas wissen? Was hat sie mit der ganzen Forscherei zu tun? Das ist doch ein Projekt von Medicare.«
»Fangen wir einfach noch mal von vorne an. Hanna und Harald Winter sind mit dem Bruder von Dr. Rukia Mutai in Nigeria unterwegs. Ochuko Mutai überredet die beiden, mit ihm seine Schwester zu besuchen, weil sie in der Nähe wohnt und sie noch Zeit haben. Also fahren sie zu dem Dorf. Alle essen dort, Hanna geht mit den Kindern ins Freie und macht Fotos.«
»Ja, sie kann unglaublich gut mit Kindern umgehen, das habe ich erst kürzlich selbst erlebt. Entschuldige, ich hab dich unterbrochen.«
»Sie brechen auf, wollen zu ihrem Auto, da wird das Dorf überfallen.«
»Kannte Dr. Mutai die Schwester von Hanna – Marie?«
Ben starrte seine Schwester an.
»Hallo! Erde an Ben! Kannte diese Dr. Mutai nun Marie
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