Hannas Entscheidung
und er folgte. Licht flutete durch gläserne Wände in den Flur. Die Türen bestanden aus heller Eiche. Der Vorraum zu dem Büro von Marie Ziegler war allein so groß wie Bens Wohnzimmer. An der einen Wand sah er Monitore. Auf einem liefen Börsenkurse, auf einem anderen Werbung für Medicare Produkte und der letzte zeigte verschiedene Zeitzonen an. Ein L-förmiger Schreibtisch mit zwei Bildschirmen beherrschte den Raum. An einer anderen Wand gab es eine kleine Küchenzeile, einen Kühlschrank und eine gemütliche Sitzgruppe. Zeitschriften lagen aus. Palmen grenzten die Ecke vom Schreibtisch ab. Statt Ben dorthin zu führen, ging die Assistentin direkt auf eine weitere Tür zu, klopfte, und wartete kurz, öffnete dann und drehte sich zu ihm um, damit er ihr folgte.
»Frau Ziegler, Herr Wahlstrom.« Sie wandte sich ganz zu ihrer Chefin. »Und denken Sie an die Arbeitskreissitzung ...«
»Ja, Jenny, keine Sorge«, unterbrach Marie sie. »Ben und ich brauchen bestimmt nicht lange, oder?«
»Nein, bestimmt nicht.«
Er versuchte, es zu unterlassen, Hanna in Marie zu sehen und umgekehrt. Sie saß vor einem beeindruckend gedrechselten Schreibtisch mit drei Monitoren darauf. Witzigerweise war ihr Büro kleiner als das Vorzimmer. Dennoch gab es auch hier eine gemütliche Sitzgruppe, in diesem Fall aus Leder. Auf dem Tisch standen zwei Tassen, eine Kanne Kaffee, daneben eine Schale mit Obst und ein Teller mit Keksen.
Mit zusammengepressten Lippen und warnendem Blick in seine Richtung, den er nicht ansatzweise verstand, verschwand die Assistentin aus dem Büro und schloss die Tür. Die absolute Stille im Raum erschien ihm angenehm nach dem Lärm draußen auf der Straße.
Marie lachte. »Du musst entschuldigen, aber Jenny kann es nicht leiden, wenn ich ihren Terminkalender durcheinanderbringe. Sie kommandiert mich mehr rum, als es meine Mutter es je getan hat. Aber sie ist unbezahlbar. Ohne sie würde mein Leben nicht funktionieren. Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?«
Bei ihren Worten stand sie von ihrem Schreibtischstuhl auf und setzte sich mit überkreuzten Beinen in einen der ledernen Sessel. Ihr Rock rutschte dabei eine Handbreit über ihre Knie. Sie sah Hanna so unglaublich ähnlich, dass Ben wie angewurzelt stehen blieb. Sie trug ihre Haare in derselben Länge, wie Hanna ihre in Rom getragen hatte. Nur, dass Marie ein dunkelblaues Kostüm mit einer weißen Bluse anhatte, Pumps trug, wenn auch mit nicht annähernd so hohem Absatz wie die ihrer Assistentin, und die Steine ihrer beiden Fingerringe garantiert genauso echt waren wie die Perlen ihrer Halskette. Er hielt sich an dem Blau ihrer Augen fest, die ihn amüsiert betrachteten.
»Ich sehe, du hast dir bereits deinen eigenen Kaffee mitgebracht, aber möchtest du dich nicht trotzdem setzen?«
Er löste sich aus seiner Erstarrung und setzte sich auf den Rand der Couch.
»Also, was verschafft mir die Ehre deines Besuchs? Bist du zufällig in Berlin oder hat dein Wunsch, mich zu sehen, einen beruflichen Hintergrund?«
»Seit wann trägst du die Haare kurz?«
Sie griff sich mit der Hand an den Kopf. »Ungewohnt, nicht wahr?« Sie lachte. »Habe ich erst heute Morgen machen lassen.«
»Heute? Heute ist Montag.«
»Und es gibt in Berlin Friseure, die mirauch am Montagmorgen bereitwillig die Haare schneiden. Ist nicht verboten, oder?«
»Nein.«
Er fixierte sie, überlegte, wie er das Gespräch hatte beginnen wollen. Ihr Aussehen hatte ihn aus der Bahn geworfen. »Warum?«
»Warum ich mir die Haare habe schneiden lassen?« Sie lachte laut auf, eine Spur zu laut. Ihre Augen wichen seinem Blick aus. Sie senkte den Kopf, fuhr sich mit der Hand durch den Bob. Die Frisur stand ihr ausgezeichnet. Sie betonte den langen, schlanken Hals, die hohen Wangenknochen und ein zierliches Ohr, hinter das sie die eine Seite gesteckt hatte. »Weißt du, ich dachte, wir würden eher über etwas anderes reden. Ich habe dich seit dem Abend, als du mich nach Hause gebracht hast, nie wieder gesehen.«
Er rutschte zurück in die Couch, lehnte sich an und breitete die Arme aus, während er die Beine locker übereinanderschlug. »Und worüber wolltest du mit mir reden?«
Sie veränderte ihre Haltung, setzte beide Beine nebeneinander auf den Boden, beugte sich ein wenig vor und legte die Arme auf ihren Knien ab.
»Ben, du bist hierher zu Medicare gekommen. Du wolltest einen Termin bei mir.« Sie hatte ihre Taktik geändert, versuchte ihn zu provozieren. In jeder Nuance ihrer
Weitere Kostenlose Bücher