Hannas Entscheidung
gesammelt hatten, oder es sogar löschen? Oder das Gegenteil? Beinhaltete der Stick Informationen über die FoEI? Etwas, das der Polizei, dem BKA oder welcher Behörde auch immer helfen würde, die Organisation in die Luft gehen zu lassen? Womöglich die Daten der Forschungsstation in Afrika?
Dieser Gedanke hatte sie schließlich den USB-Stick in den Port ihres Laptops schieben lassen. – Keine ausführbaren Programme. Wenn sie versuchte, ein File zu öffnen, kam die Frage, mit welcher Software. Der Versuch, es mit einem Editor zu öffnen, hatte eine unlesbare Flut von Zeichen auf ihrem Bildschirm vorbeisausen lassen. Was er mit dem USB-Stick beabsichtigte, hatte sich dadurch nicht geklärt. Weshalb gab er ihr etwas, womit sie nichts anfangen konnte? Schließlich hatte sie ihren E-Mail-Account am Morgen geprüft. Eine E-Mail von Viktor war dabei gewesen, natürlich mit einem geänderten Nickname, den sie aber ohne Probleme mit ihm in Verbindung bringen konnte: Spock, der Vulkanier und erste Offizier von Raumschiff Enterprise aus der ersten Serie. »Mein lieber Paul – lebe lang und glücklich«, das war der einzige Text, und im Anhang war ein Bild von einem USB-Stick. Es dauerte nicht lange, bis Hanna den Namen auf Paul Gerlach bezog, den Computerspezialisten des BKA, der laut Nina die Software des Trojaners entwickelt hatte.
Also hatte sie nach langem inneren Kampf entschieden, sich an den Menschen zu wenden, dem sie noch am ehesten vertraute, der ihr vielleicht den Kontakt zu diesem Mann herstellen konnte: Ben. Letztlich hatte er ihr den Trojaner untergejubelt, was nicht unbedingt hieß, dass er Paul kannte, aber es war ein vertretbares Risiko. Sie wusste, dass sie ihm dafür etwas geben musste: Information. Welche Informationen sie ihm gab, darüber hatte sie in Ruhe nachdenken wollen, um ihn danach über Lisa zu kontaktieren. Der nächste Schritt wäre es gewesen, mit ihm einen Treffpunkt zu vereinbaren, der ihr sicher erschien.
Dass er ihr bereits im Nacken saß, damit hatte sie nicht gerechnet. Was wusste er? Was hatte ihm ihr Onkel erzählt? Und noch viel wichtiger: Welche Absicht steckte hinter dieser Aktion? Sie zu schützen? Hatte sie ein Gesetz übertreten, weil sie sich aus dem Zeugenschutzprogramm verabschiedet hatte? Nein, niemand konnte ihr vorwerfen, dass sie untergetaucht war, nachdem ihre Tarnung aufgeflogen war. Das war seine Schuld, definitiv nicht ihre. Sie betrachtete Ben, der ihr mit einer zweiten Cola gegenübersaß. Die Beine weit von sich gestreckt, nippte er diesmal nur an der Flasche. Vielleicht sollte sie doch den ersten Schritt tun, egal ob es ein Spiel war oder nicht. Solange sie im Auge behielt, worum es ihr ging und das außen vor ließ, was ihn nichts anging, spielt es keine Rolle. Es gab noch eine andere Frage, die sie beschäftigte. Wie viel Verhandlungsspielraum hatte sie?
Ein tiefer Atemzug zeigte ihr, dass ihr innerer Konflikt sich in ihrer Haltung nach außen spiegelte. Verärgerte über sich selbst fuhr sie sich mit der Hand über die Haare. Ein weiterer Fehler. Sie sah es ihrem Gegenüber an, obwohl sein Gesicht die Ruhe selbst zu sein schien. Als könnte er in dieser dämlichen, verflixten Haltung tagelang ausharren. Ach verflucht, welcher normale Mensch würde sich überhaupt dieses eklige, überzuckerte, koffeinhaltige Getränk reinziehen und dabei so entspannt aussehen, während er in Wahrheit kaum erwarten konnte, dass sie anfing zu reden? Verdammt, sie hatte sich auf keine Spiele mehr einlassen wollen, deren Regeln sie nicht selber bestimmte. Sie holte Luft, und ihr Blick glitt zu dem Mann, der lautlos in der Tür aufgetaucht war.
Ihrem Blick folgend, drehte sich Ben in seinem Stuhl um und sprang auf. Obwohl Ben keine Uniform trug, straffte er sich merklich, seine Hand ging zum Gruß zackig an den Kopf, was von dem eintretenden Oberst Hartmann, der in voller Uniform war, erwidert wurde.
Etwas fassungslos schüttelte Hanna den Kopf. Sie würde dieses militärische Gehabe nie verstehen. Bisher hatte ihr Hartmann nur in ziviler Kleidung gegenübergestanden. Sie fand es interessant, wie sich sein gesamtes Äußeres, seine Aura durch die Uniform veränderte. Er wirkte auf sie bedrohlicher, fremd, und strahlte Autorität aus. Auf sein knappes Handzeichen hin löste sich Ben aus seiner Haltung und setzte sich zurück auf seinen Stuhl, diesmal nicht in seiner lässigen Manier.
Der Oberst nahm neben ihm Platz. Aufmerksam betrachtete er Hanna und ließ sich dabei Zeit.
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