Hannas Wahrheit (German Edition)
geplant, dass wir es besuchen. Die Schwester unseres Fahrers wohnte dort, und weil wir früher losgefahren sind und noch Zeit hatten …“ Hanna zuckte mit den Achseln. Sie machte eine Pause. Noch einmal spürte sie die Hitze der afrikanischen Sonne auf sich niederbrennen, hörte das Knirschen des Staubes zwischen ihren Zähnen.
Weder Viktor noch Nina störten sie bei ihren Gedanken. Beide saßen still da. Viktor mit eingezogenem Kopf, als wünschte er, das alles würde an ihm vorbeiziehen. Nina war nach vorne an die Kante der Couch gerutscht und hörte ihr gespannt zu.
„Wir waren bereits auf dem Weg zurück zu unserem Auto, da wurde das Dorf überfallen. Alle Menschen wurden erschossen, auch unser Fahrer.“ Sie sah Ochukos ernstes Gesicht wieder vor sich, dann sein totes, voller Verzweiflung. „Eine Einheit des nigerianischen Militärs rettete mich und Harry.“ Ihre Hand spürte an der Stelle nach, wo Harry sie mit dem Stein getroffen hatte. Es war nichts mehr da, was sie hätte ertasten können. „Ich habe Bilder gemacht.“
„Du meinst, von dem Überfall? Als die Angreifer die Menschen in dem Dorf erschossen haben?“, warf Nina ein.
Hanna nickte.
„Krass, da sind Typen, die mit Knarren herumballern, und du stellst dich hin und machst Fotos. Ich könnte das nicht. Hab noch nie verstanden, wie es diese Kriegsreporter schaffen, ihre Kamera auf all die Massaker zu halten, ohne einzugreifen.“ Sie brach ab, sah Hanna an.
Hanna spürte ihr eigenes Gesicht nicht mehr. Alles war taub. Krampfhaft versuchte sie, den aufkeimenden Schmerz niederzukämpfen. Ihr Hals verengte sich, schnitt ihr die Luftzufuhr ab.
„Tut mir leid, Hanna, ich wollte dich nicht verurteilen oder verletzen. Immerhin hast du etwas getan, ich wäre vermutlich nur vor Angst gestorben“, entschuldigte sich Nina hastig. Hanna zwang sich zu atmen. Langsam, länger ausatmend als einatmend, bis die Enge in ihrem Hals sich wieder öffnete.
„Nein, du hast recht. Es war ein Fehler, diese Fotos zu machen. Sie sind daran schuld, dass ich heute hier sitze.“ Alles, was in den letzten Tagen passiert war, wäre niemals passiert, wenn sie diese Fotos nicht gemacht hätte.
„Okay, was ist mit diesen Fotos passiert?“, mischte sich Viktor in das Gespräch ein.
„Das deutsche Militär hat die Fotos beschlagnahmt.“
„Das deutsche Militär?“, fragte Viktor verwirrt nach. „Ich dachte, das nigerianische Militär hätte euch gerettet.“
„Ja, aber sie haben vergessen, die Fotos von mir zu überprüfen. Als wir in Nairobi am Flughafen ankamen, wartete das deutsche Militär auf uns, um dieses Versäumnis nachzuholen.“
„Und wie kam dann der Trojaner auf deinen Laptop?“
Sie fühlte sich ausgelaugt und erschöpft. Das Reden war anstrengender gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte.
Nina stand auf. „Was haltet ihr von einem Kaffee und ein paar Broten?“ Sie sah Nina dankbar an. Eine Pause und etwas zu essen würden ihr guttun. Sie sah Nina nach, die in der Küche verschwand. So war auch Rukia Mutai in die Küche verschwunden, um ihnen eine Mahlzeit anzubieten. Sie konnte die Stimme der afrikanischen Frau hören, die die Kinder zu sich rief, damit diese den Tisch decken kamen und um den Besuchern etwas zu trinken anzubieten.
„Weißt du, was auf den Fotos zu sehen ist?“, holte Viktors Stimme sie wieder in die Wirklichkeit zurück.
„Tote.“
„Nur Tote?“, fragte er in die Stille hinein, die entstanden war.
Sie zuckte mit den Achseln. „Nein, auch die Mörder.“
„Mörder. Weißt du denn, worum es bei der ganzen Sache gegangen ist?“
Sie wandte sich Viktor zu. „Nein, deshalb bin ich hier.“ Die Farbe wich aus Viktors Gesicht. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Auch sie verspürte Angst, wenn sie an die Professionalität der Angreifer dachte.
Nina kam mit einem Tablett rein, auf dem sich drei Kaffeebecher und mehrere geschmierte Brote befanden. Sie setzte alles auf dem kleinen Tisch ab. Schweigend tranken sie ihren Kaffee und aßen die Brote. Eigentlich aßen nur Nina und Viktor, sie verspürte keinen Hunger. Ihr wäre auch Tee lieber gewesen als der bittere Geschmack des Kaffees.
„Also, wobei sollen wir dir helfen?“ fing Nina das Gespräch an, als sie alles aufgegessen hatten.
„Ich brauche Zugang zu den Daten von Medicares.“
„Medicares? Was hat Medicares mit der ganzen Sache zu tun?“, erkundigte sich Viktor scharf. Überrascht von seinem Ton, sah ihn Hanna an. Er senkte den Blick, dann hob er
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