Hannas Wahrheit (German Edition)
enthielten, war in den Entwicklungsländern kein seltenes Problem. Aus diesem Grund gab es für die Generika eine Kennzeichnung durch die WHO, und nur diese Medikamente wurden verteilt. Hanna lernte, dass die Behandlung von HIV mit drei Präparaten erfolgte, sodass eine Resistenz verhindert werden sollte. Es gab drei verschiedene Ansatzpunkte, an denen die Behandlung ansetzte. Zunächst das Verhindern, dass das Virus in eine Zelle eindrang und diese für die Reproduktion verwendete. Der zweite Ansatz der Therapie war bei der Reproduktion des Virus, der die Zelle missbrauchte. Und der letzte bestand in der Zerstörung der vom Virus befallenen Zellen. Jeder Patient benötigte eine individuelle Therapie aus den verschiedenen am Markt befindlichen Medikamenten. In regelmäßigen Abständen musste ein Arzt die Therapie kontrollieren.
Sie erfuhr, dass die Pharmaindustrie mehr Medikamente für die Behandlung von HIV anmeldete als für die Volkskrankheit Diabetes. Sie war davon ausgegangen, dass Diabetes ein viel interessanteres Gebiet für die Entwicklung von Medikamenten war.
Hanna wandte sich wieder der Therapie zu. Anfangs war die sehr exakte Einnahme der Präparate drei Mal am Tag eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Behandlung. Inzwischen gab es Kombipräparate, die nur einmal am Tag eingenommen werden mussten. Das verhinderte eine Einnahmemüdigkeit der Patienten, zumal die Nebenwirkungen nicht unerheblich waren, so die Informationen im Internet. Für Kinder entwickelten die Pharmakonzerne spezielle einnahmefreundlichere Präparate. Hanna lehnte sich zurück. Ihr war nie bewusst gewesen, wie kompliziert die Behandlung von HIV war.
Mit all diesen Informationen im Kopf begannen ihre Gedanken zu kreisen. Nehmen wir einmal an, sagte sie sich, Rukia Mutai überwacht die Einnahme der Medikamente für die Kinder. Rukia Mutai nimmt regelmäßige Untersuchungen vor, sodass die an HIV infizierten Kinder eine optimale Therapie erhalten. Major Wahlstrom hatte bei seinem Gespräch mit ihr angenommen, dass die Daten der Forschungseinrichtung einen Hinweis auf die Hintergründe des Überfalls geben würden. Das war der Grund, weshalb sie ihm Zugang zu Medicares verschaffen sollte. Also gut, dachte sie, lass deiner Fantasie einfach mal freien Lauf und ziehe in Betracht, was Medicares schon einmal gemacht hat. Gewinnoptimierung durch die Zugabe von Füllmaterial, zulasten des Wirkstoffes. Was passierte, wenn die Konzentration des Wirkstoffes in einem HIV-Präparat nicht hoch genug war? Wenn schon eine nur zeitverschobene Einnahme die Therapie gefährdete, was würde bei einer Verringerung des Wirkstoffes passieren? Allerdings war es die Frage, ob Medicares in diesem Fall überhaupt an den Medikamenten verdiente oder an den Patenten. In letzterem Fall gäbe es keinen Grund für eine Gewinnoptimierung durch Austauschstoffe. Anderer Ansatz: Was war, wenn Rukia Mutai Nebenwirkungen eines Präparates von Medicares festgestellt hatte, auch wenn es ein Generika war? Wenn sich dadurch ein weiterer Einsatz des Medikaments in der HIV-Therapie als ungeeignet oder zu risikoreich verbot. Würde das von dem Generika zu dem ursprünglichen Medikament durchschlagen? Oder was wäre, wenn sie womöglich Medikamente für Entwicklungsländer einsetzten, die noch über keine Zulassung in den Industrienationen verfügten? Auf diese Weise konnte der Pharmakonzern bestimmt Kosten bei der Entwicklung neuer Medikamente sparen.
Hanna richtete sich kerzengerade auf. Waren nicht die Forschungsgelder der teuerste Posten in der Bilanz eines Pharmaunternehmens? Was, wenn man ein paar Phasen überspringen und die Marktreife um ein Jahr kürzen könnte? Hätte das nicht eine enorme Einsparung bedeutet? Abrupt klappte sie ihr MacBook zu. Sie packte ihre Sachen in ihren Rucksack, trank den letzten Schluck und verließ das Café.
„Wie war Ihr Name noch?“
„Hanna Rosenbaum.“
„Und Sie sind die Schwester von Marie Benner?“ Skepsis klang aus jedem Wort.
Langsam verlor sie die Geduld mit der Dame am Empfang.
„Bitte fragen Sie einfach.“
„Das habe ich bereits, und die Assistentin von Frau Benner meint, sie würde keine Schwester kennen.“
Sie stöhnte innerlich auf. Das hatte sie davon, dass sie sich nie an dem Arbeitsplatz von Marie hatte sehen lassen.
„Sehen Sie mich an“, forderte sie die Frau auf. Sie versuchte zu lächeln, ohne es als eine Grimasse aussehen zu lassen. Die Frau legte den Kopf schief. „Finden Sie nicht, wir
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