Hannas Wahrheit (German Edition)
KSK sich hinter der Geheimhaltung verstecken konnte, gab es doch das Problem, dass Major Wahlstrom zu diesem Zeitpunkt dem BKA angehört hatte. Auch Paul Gerlach, der die Ermittlungen in Richtung Carsharing ausgelöst hatte, geriet zunehmend unter Druck. Nur Major Wahlstrom, der Oberst und ein paar Polizisten wussten, dass es bei dem Brand keine Leiche gegeben hatte. Solange sie das aufrechterhalten konnten, hatte er Zeit, Hanna dazu zu überreden ihr Wissen mit ihnen zu teilen und als Kronzeugin auszusagen.
Während des Laufens grübelte er über die richtige Strategie nach, wie er die Amnesie von Hanna lösen konnte. Sie war der einzige Mensch, neben dem Täter oder der Täterin, der wusste, was an dem Abend passiert war. Er war sich so sicher gewesen, dass Armin Ziegler oder Lukas Benner, vielleicht sogar beide, hinter dem Anschlag auf Hanna steckten. Seine Entscheidung lastete zentnerschwer auf ihm. Dass er seinen Job riskierte, war der eine Punkt, doch er hatte auch andere Menschen, Menschen die ihm vertrauten, in die Sache mit hineingezogen.
Sie hörte, wie der Mann ihr Zimmer verließ. Er verwirrte sie, ihre Gefühle zu ihm verwirrten sie. Dass sie ihm vertraute und sich sicher und geborgen fühlte, obwohl er ihr völlig fremd war. Kannte sie ihn? Waren sie ein Liebespaar gewesen? Das Bild, das in ihrem Kopf erschienen war, hatte diesen Schluss nahegelegt. Aber sie war sich nicht mehr sicher, ob es Wunschdenken gewesen war oder wirklich eine Erinnerung. Nie hatte er versucht, sie zu küssen. Nie war er ihr zu nahe gekommen. Nie hatte er sie berührt, wenn es keinen Grund dafür gab. Nie waren seine Berührungen zärtlich gewesen, immer dienten sie einem Zweck. Nein, wenn sie ein Verhältnis miteinander hätten, würde er sich anders verhalten.
Sie hörte, wie er die Treppe hinunterging. Leise stand sie auf und trat an das Fenster. Sie sah, wie er in schnellem Trab den Weg zum See nahm. Sie wartete, bis er verschwunden war, dann schlüpfte sie in ihre Jeans. Obwohl sie sich alleine im Haus befand, bewegte sie sich leise. Bisher hatte sie nur einen flüchtigen Blick in das Zimmer von dem Mann geworfen. Diesmal wollte sie wissen, wer er war, weshalb er mit ihr hier in der Hütte war und vor allem, weshalb er sich so um sie kümmerte. Warum lag sie mit ihrer Wunde nicht in einem Krankenhaus?
Das Erste, was ihr in seinem Zimmer auffiel, war das Bett. Der Schonbezug war straff darüber gespannt, keine Falte verunzierte die Decke. Sie öffnete den Schrank. T-Shirts, Jeans, Cargohosen, Kapuzenjacken, Sweatshirts, Socken, Boxershorts, alles exakt übereinander gestapelt.
Bereits bei der gemeinsamen Nutzung des Bads war ihr aufgefallen, wie ordentlich der Mann war. Nicht, dass es sie störte, im Gegenteil; sie liebte es, alles am richtigen Platz zu haben. Sie sah sich weiter um nach irgendetwas, das ihr einen Anhaltspunkt geben konnte, wer der Mann war und in welcher Beziehung sie zu ihm stand. Erfolglos.
Sie setzte ihre Suche in den Räumen unten fort. Sein Laptop, sein Handy, beide gesichert mit einem Passwort. Kein Name in den Büchern. Eine ganze Sammlung von Liebesschnulzen als DVDs. Etwas, das sie eher einer Frau zuordnen würde als einem Mann. Zunehmend verärgert sah sie sich in dem kleinen Haus um. Es konnte doch nicht sein, dass sie nichts fand, was ihr einen Hinweis auf den oder die Besitzer gab. Frustriert ging sie nach draußen. Ein Schuppen. Interessant, der war ihr noch gar nicht aufgefallen. Er war abgeschlossen und mit einem Riegel und einem zusätzlichen Schloss gesichert. Ungewöhnlich. Sie umkreiste den Schuppen, doch es gab keine Möglichkeit, sich Zugang zu verschaffen. Sie fühlte sich erschöpft, ihr war warm geworden.
Ihre Schritte lenkten sie zum See. Sie lief den Steg entlang und setzte sich an sein Ende. Das Wasser glitzerte im Sonnenlicht, Wind kräuselte die Wasseroberfläche. Leise plätscherte das Wasser gegen den Steg. Wer war der Mann? Wer war sie? Außer dem Namen Hanna, der ihr inzwischen vertraut klang und den sie akzeptierte, gab es keine weitere Erinnerung in ihr. Sie wusste weder, was sie gerne aß, noch was sie normalerweise tat. Weshalb hatte sie diese Wunde auf ihrer rechten Seite?
In ihrem Kopf pochte es. Die Schwellung war komplett verschwunden, und sie wusste inzwischen, dass die Schmerzen nicht von der Kopfverletzung kamen. Sie war am Ende ihres Weges angekommen, ihre ziellose Zeit war abgelaufen. Sie sollte sich ihrer Vergangenheit stellen. Wenn er zurückkam,
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