Hannas Wahrheit (German Edition)
Tochter etwas Anderes wünschte. Krampfhaft suchte sie nach etwas, womit sie ihre Mutter von dem Thema ablenken konnte. Aber ihr Kopf war leer.
„Hast du von dem Dorf gehört, das dort unten in Nigeria überfallen worden ist? Mehr als fünfzig Männer, Frauen und Kinder sind dabei ums Leben gekommen. Es war ganz in der Nähe, wo du mit Harry warst. Was, wenn ihr beide dort gewesen wärt? Ich darf gar nicht daran denken.“
Hanna kniff die Augen zusammen. „Woher weißt du davon?“
Sie ärgert sich, dass Marie ihrer Mutter solche Dinge erzählte. Ihr Stiefvater war es ganz gewiss nicht gewesen. Das war das Einzige, worin sie sich mit Armin Ziegler einig wusste: Sie würden Silvia nicht mit allen schlimmen Ereignissen der Welt konfrontieren. Beim Tod ihres Mannes war ihre Mutter das erste Mal zusammengebrochen. Und das zweite Mal nach der Sache mit ihr. Damals hatte Hanna gedacht, sie würde nach ihrem Vater auch noch ihre Mutter verlieren. Ihre Schuldgefühle waren unendlich groß gewesen. Seitdem gab es eine stumme Vereinbarung zwischen ihrem Stiefvater und ihr: Alles von ihrer Mutter fernzuhalten, was sie aufregen oder belasten könnte.
Armin Ziegler und Hanna Rosenbaum gingen sich ansonsten sorgfältig aus dem Weg. Ließ sich eine Begegnung nicht vermeiden, tauschten sie allenfalls höfliche Floskeln miteinander aus. Auch wenn ihre Mutter immer wieder versuchte, das Verhältnis zwischen den beiden Menschen, die sie liebte, zu verbessern, so hatte sie mit der Zeit doch die Grenze zu akzeptieren gelernt.
Abrupt blieb ihre Mutter stehen. „Du warst dabei?“
„Nein“, log sie schnell. Ihre Mutter schien nicht überzeugt. „Aber wir haben die Luftraumaktivitäten mitbekommen, und unsere Maschine flog später.“ Sie verwendete dieselbe Lüge wie bei Marie.
Skeptisch setzte ihre Mutter den Weg ins Foyer fort. Hanna atmete auf, sie wusste, es war besser, das Thema nicht zu vertiefen.
„Marie hat davon erzählt, weil sie sich Sorgen um die Sicherheit von Lukas macht.“ Ihre Mutter seufzte tief. „Armin hat mit Marie geschimpft, er denkt immer, ich wäre aus Porzellan und würde gleich zerbrechen.“
Sie drückte ihren Kopf an die Schulter ihrer Tochter. „Ach, Hanna, ich wünschte, es gäbe irgendetwas, was ich tun könnte, damit du endlich aufhörst, dich ständig in Gefahr zu bringen.“
Hanna war erleichtert, dass ihre Mutter nicht wusste, wie nahe sie dem Dorf gewesen war. Mit ihrem Job befand sie sich bei ihrer Mutter auf einer Gratwanderung, das war ihr klar. Aus diesem Grund versuchte sie, möglichst wenig darüber zu erzählen.
„Ich bringe mich nicht in Gefahr. Harry und ich haben eine Reportage über die Umweltschäden in Nigeria gemacht. Keine Kriegsberichterstattung“, versuchte sie die Ängste ihrer Mutter zu zerstreuen. Es entstand eine ungemütliche Pause. Sie spürte genau, wie ihre Mutter nach Worten suchte. Schließlich holte Silvia Luft.
„Weißt du, ich habe mit André gesprochen. Er wäre begeistert, wenn du seinen Auftrag annehmen würdest. Stell dir mal vor: Hawaii, das Meer, Strand, Palmen, ein tolles Hotel und ein fester Vertrag. Du könntest richtig viel Geld verdienen.“
Hanna atmete tief ein und wieder aus. Sie wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht. „Mama, ich bin keine Modefotografin.“
„Oh, André ist da ganz anderer Meinung. Er meinte, du könntest ein zweiter Richard Avedon werden.“
„Du bist seine beste Kundin, ewige Dankbarkeit winkt ihm, wenn er dir deine verlorene Tochter wiederbringt.“
„Du bist nicht meine verlorene Tochter. Du bist meine Hanna, die immer nach dem schwersten Weg im Leben sucht, und ich möchte nur, dass du es dir ein bisschen leichter machst.“
Hanna schnaubte. „Das Leben ist nicht leicht.“ Schon als die Worte aus ihrem Mund kamen, ärgerte sie sich darüber.
Ihre Mutter löste sich von ihr und strich ihr über die Wange. Sie versuchte ein Lächeln, was ihr misslang. „Ich wünschte, ich hätte die Macht, dir all das zu geben, was du verloren hast.“
„Möchtest du Wein?“, wechselte Hanna das Thema, da sie nahe daran war, die Fassung zu verlieren. Sie war viel labiler aus Nigeria gekommen, als es ihr gefiel. Sowohl ihre Schwester als auch ihre Mutter schienen das zu spüren.
„Hallo, Silvia, oh, hallo Hanna, bist du wieder im Lande?“
Nein, vor dir steht nur der Geist meiner Person, war sie versucht zu antworten. Sie verkniff sich jedoch die Bemerkung. Susan Paxton war die beste Freundin ihrer Mutter,
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