Hannas Wahrheit (German Edition)
musste schleunigst nach Hause zu ihrem Mann. Trotz dieses ganz offensichtlichen neuen Manövers hatte Hanna Rosenbaum entschieden, die Einladung von Philip Bornstedt anzunehmen. Seine Neugierde bezüglich des Todes von Ochuko Mutai hatte sie misstrauisch gemacht. Wieso tauchte dieser Neffe von Susan Paxton auf einmal in ihrem Leben auf?
„Ich muss gestehen, ich kenne mich noch nicht besonders gut aus in Berlin, ich hoffe, das Lokal ist für dich in Ordnung.“ Philip Bornstedt wirkte unsicher.
Hanna blieb auf der Hut. Es war ihr noch gut im Gedächtnis, wie dieser Typ in Afrika sie mit seiner verständnisvollen Art, um den Finger gewickelt hatte.
„Ich bin nicht wählerisch.“
„Stimmt, auf deinen Reisen bist du vermutlich froh, überhaupt etwas zu essen zu haben.“
Hanna schwieg und überlegte, wie sie ihn zum Reden bringen konnte.
„Ziemlich abenteuerliches Leben, das du da führst“, versuchte ihr Gegenüber den Einstieg in ein Gespräch zu finden.
Sie zuckte mit den Achseln. Ihr Leben war nicht abenteuerlicher, als das von Harry oder irgendeines anderen Journalisten, mit dem sie es zu tun hatte.
„Bist du häufiger in Afrika unterwegs?“
„Nein.“
„Der Tod von eurem Begleiter hat dich bestimmt ziemlich mitgenommen.“
Sie versteifte sich, das Ganze lief in eine Richtung, die ihr missfiel. Es war ein Fehler gewesen, noch mit Philip mitzugehen. Philip Bornstedt bemerkte ihren Unmut.
„Tut mir leid, nicht gerade ein Thema für einen Smalltalk. Der Bericht ist wirklich gut geschrieben, man fühlt sich eurem Fahrer, wie hieß er doch gleich, Okuk, sehr nahe.“
„Er hieß Ochuko Mutai. Philip, hast du vielleicht einen zweiten Job bei einem Geheimdienst?“
Er grinste unsicher. „Wenn ich jetzt ja sage, erhöht das meine Chancen bei dir?“
Hanna musterte ihn. Er sah ganz nett aus. Er war ein paar Zentimeter kleiner als sie, die Falten um seine Augen zeugten von Humor. Er zählte weder zu den dicken Typen noch zu den sportlichen, sondern war ganz normal mit einem kleinen Bauchansatz. Sie hatte keine Ahnung, was sie von ihm halten sollte.
„Nein“, antwortete sie diplomatisch. „Was willst du von mir?“
„Bist du immer so direkt?“
„Ja.“
Sie beobachtete, wie er sich mit seinen Händen nervös durch die Haare fuhr. Der Umgang mit ihr fiel den wenigsten Menschen leicht. Entweder suchten sie jemanden, dem sie ihre Geschichten erzählen konnten; dann war Hanna die perfekte Zuhörerin, denn sie interessierte sich wirklich für das Leben der anderen. Suchte man aber einen Gesprächspartner oder war unsicher, dann konnte sich das Zusammensein mit ihr zu einer Tortur entwickeln. Der Kellner kam und rettete Philip Bornstedt aus seiner Unsicherheit. Sie bestellten.
Eine Weile hielt Philip Bornstedt das Schweigen aus. Dann fing er an, über seine Arbeit zu reden. Hanna Rosenbaum hörte aufmerksam zu. Suchte in seinen Worten nach Hinweisen. Sie ärgerte sich, dass sie ihre Kamera zu Hause gelassen hatte. Wenn sie Fotos von ihm machen könnte, würde sie eher ein Gefühl für die versteckten Absichten von Philip bekommen. Aber im Gegensatz zu Marie bestand ihre Mutter darauf, dass sie bei ihren gemeinsamen Abenden die Kamera zu Hause ließ.
Sie verzehrte ihr Essen, während Philip inzwischen bei seiner Kindheit angelangt war. Dann brach er unvermittelt ab.
„Bist du immer so schweigsam?“
„Ja.“
„Das macht es nicht gerade leicht, dich kennenzulernen.“
Sie musterte Philip, dessen Gesichtsfarbe sich unter ihrem prüfenden Blick veränderte. Ein verlegenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Sie erwiderte das Lächeln, legte den Kopf leicht schief.
„Ego sum, qui sum – ich bin, wer ich bin.“
Philip Bornstedt lachte. „Vogel friss oder stirb. Verstehe.“
Nein, er verstand nicht. Es war ein Zitat aus der Bibel.
Die Rechnung kam, und Philip Bornstedt beglich sie. Hanna Rosenbaum ließ ihn gewähren. Sie verließen gemeinsam das Restaurant.
„Darf ich dich nach Hause fahren?“
Statt einer Antwort stellte sie sich an die Beifahrertür seines Autos. Mit einem freudigen Grinsen öffnete ihr Philip galant die Tür. Als er auf der Fahrerseite Platz genommen hatte, sah er sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie sah genauso zurück.
„Deine Adresse?“
„Die kennst du nicht?“
Verwirrt sah er sie an. Sie brach in Lachen aus, was Philip wieder die Röte ins Gesicht trieb. Seine Unsicherheit war irgendwie nett.
„Ich dachte in Anbetracht deiner Intrige mit meiner
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