Hannas Wahrheit (German Edition)
stellte sich neben den Mann und drehte den Kopf, damit er ihre Verletzung betrachten konnte. Im Gegensatz zu ihrem Reisegefährten, der einen halben Kopf kleiner als sie war, überragte Major Wahlstrom sie. Dass passierte Hanna mit ihren eins zweiundachtzig selten. Er schob mit den Fingern vorsichtig ihre Haare beiseite. Sie biss die Zähne zusammen, die Berührung verursachte ihr Schmerzen. Er betrachtet die Beule. „Ich denke, unser Arzt sollte sich das besser ansehen. Leutnant Brunner, rufen Sie bitte Dr. Wilson an, er soll kommen.“
Harald Winter und Hanna Rosenbaum folgten den Soldaten, es blieb ihnen gar nichts Anderes übrig. Leutnant Richter hatte sich erboten, Harald Winters Rucksack zu nehmen, was dieser mit einem Kopfschütteln ablehnte. Der Rucksack, ihr Gurt und die Kamera waren alles was ihnen geblieben war. Keinesfalls würde sie irgendetwas von sich diesen Männern oder der Frau anvertrauen, darin waren sich beide einig.
Vor dem Gebäude stand ein dunkler, großer Geländewagen. Die Frau öffnete Hanna Rosenbaum die hintere Tür und bedeutete ihr einzusteigen. Harald Winter setzte sich mit den beiden Soldaten in die mittlere Reihe. Oberleutnant Schulte übernahm das Steuer, auf dem Beifahrersitz nahm Major Wahlstrom Platz.
„Wieso hat das nigerianische Militär Sie informiert?“, fragte Harald Winter den Major.
„Wir arbeiten eng mit den militärischen Einheiten in den Ländern zusammen. Sobald ausländische Personen, insbesondere Touristen, von Konflikten betroffen sind, ist es das normale Prozedere, dass wir informiert werden.“
„Konflikte“, brummelte Hanna Rosenbaum leise, „ich nenne das Morden.“
Leutnant Brunner warf ihr einen prüfenden Blick zu. „Sie haben ganz schön was abbekommen.“
„Die Beule ist nicht schlimm.“
„Ich meinte eher den Rest.“
Grinsend deutete die Frau mit dem Kopf zum Rückspiegel des Fahrers. Als Hanna hineinsah, zuckte sie zusammen. Ihr Gesicht war dreckverschmiert, an ihrer Wange entlang zog sich ein blutiger Kratzer und ihr Kinn war aufgeschürft. Ihre Kleidung sah nicht viel besser aus, als sie an sich herunterschaute. Auf ihrer Hose entdeckte sie neben dem dunklen Dreck noch den Staub, der von ihrer Fotoaktion stammte, bevor sie in das Dorf abgebogen waren. Sie legte ihren Finger darauf und schluckte. Ein kleiner Umweg reichte, wenn das Schicksal es so wollte.
Schnell wandte sie ihren Blick von der Hose und starrte durch das abgedunkelte Fenster nach draußen. In dem Wagen war es angenehm kühl, von der Hitze des späten Nachmittags war nichts zu spüren.
Der Wagen bremste vor einem mehrstöckigen Gebäude ab. Harald Winter wartete, bis Hanna ausgestiegen war. Sie sah seinem Gesicht an, dass er sich Sorgen machte. Beim Gehen flüsterte er ihr schnell ins Ohr, sie solle sich kooperativ verhalten.
Das Gebäude war schlicht und funktional eingerichtet. Nachdem sie die Sicherheitskontrolle am Empfang passiert hatten, fuhren sie mit einem Fahrstuhl in die dritte Etage. Dort traten sie in einen Gang, der hell ausgeleuchtet war. Ihre Augen wanderten fast automatisch zu den Überwachungskameras in den Ecken. Einer der Soldaten öffnete eine Tür auf der rechten Seite. Gemeinsam traten sie in das Zimmer ein.
Den größten Teil des Zimmers nahm ein Schreibtisch ein, auf dem zwei Bildschirme standen. Dahinter ein bequemer Drehstuhl, davor drei Besucherstühle. Ein großes Fenster ließ die Sonne ins Zimmer. In dem Raum befand sich keine Überwachungskamera. Harald Winter und Hanna Rosenbaum blieben mitten im Raum stehen, Oberleutnant Marder stellte sich zwischen Fenster und Schreibtisch. Leutnant Richter hielt sich in Nähe der Tür auf, Leutnant Brunner stellte sich zu Hanna Rosenbaum.
„Leutnant Brunner, begleiten Sie Frau Rosenbaum zu Dr. Wilson.“ Major Wahlstrom wandte sich an Hanna Rosenbaum. „Ich nehme an, Sie verstehen Englisch? Unser Arzt ist nämlich ein Einheimischer.“
Sie verzog keine Miene, und Winter warf ihr den nächsten mahnenden Blick zu. „Ja, Hanna versteht Deutsch und Englisch. Sie redet nur nicht so gerne.“
„Dann werde ich das Gespräch wohl am besten mit Ihnen führen“, wandte sich der Mann mit einem freundlichen Lachen an Harald Winter. Misstrauisch musterte Hanna ihn. Er war ihr einen deutlichen Tick zu freundlich.
„Sie können die Kamera und Ihren Gurt hier lassen.“ Der Major deutet auf ihren Taillengurt.
Sie versteifte sich. „Nein.“
Das freundliche Lächeln im Gesicht des Mannes verschwand.
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