Hannas Wahrheit (German Edition)
griff in seine Jackentasche nach seinem Handy, wählte die Nummer der Einsatzzentrale und erklärte dem Beamten, der die Einteilung der Überwachungen vornahm, dass er den jetzigen Dienst sowie den Nachtdienst für die Wohnung von Hanna Rosenbaum übernehmen würde. Dann reichte er dem Beamten den Hörer, damit dieser die Bestätigung aus der Einsatzzentrale selbst entgegennehmen konnte.
Er wartete, bis der Beamte wütend von dannen gezogen war. Er atmete tief aus. Ab jetzt würde nach seinen Regeln gespielt werden.
Langsam drückte Hanna die Tür von ihrer Wohnung ins Schloss. Sie lehnte ihren Kopf gegen das Holz. Ihre Hände zitterten. In ihr war kalte Wut auf den Mann, der ihr Leben aus der Bahn geworfen hatte. Das Laufen hatte ihr nicht die ersehnte Ruhe gebracht, von einem inneren Gleichgewicht war sie weit entfernt. Eher hatte es ihrem Gedankenkarussell und noch mehr ihrer Fantasie zusätzliche Energie gegeben. Immer wieder sah sie vor ihrem inneren Auge die Bilder von Ben Wahlstrom und Marie. Sah sie, wie seine Hand unter ihr Kleid geglitten war. Sie hörte das lustvolle Stöhnen ihrer Schwester. Sie war schneller und schneller gerannt. Versuchte zu fliehen vor der inneren Stimme, die ihr sagte, dass es genau das gewesen war, was Marie von dem Soldaten wollte: Sex. Nein, hielt sie dagegen. Er war derjenige gewesen, der Marie benutzen wollte, nicht andersherum.
Sie zog die Jacke aus und pfefferte sie in die Ecke, dabei stieß sie einen unterdrückten Wutschrei aus. Die Wohnung war zwar nicht hellhörig, aber wenn sie mit der ganzen Kraft ihrer Stimme geschrien hätte, dann stünde Frau Mendel, ihre Nachbarin, bestimmt gleich an ihrer Tür und würde sie mit ihrer Fürsorge überschütten. Durst brannte in ihrer Kehle. Sie steuerte ihren Wohnraum an und blieb abrupt im Türrahmen stehen. Etwas stimmte nicht. Es war nur ein vages Gefühl, aber es verursachte ihr Gänsehaut. Sie verharrte witternd, suchte nach dem, was sie irritierte. Gleichzeitig spannten sich all ihre Muskeln an, bereit, sich in den Kampf zu stürzen oder zu fliehen.
„Keine Sorge, ich bin es nur“, ertönte es von der Couch. Ben Wahlstrom erhob sich aus seiner liegenden Position. Er hatte gehört, wie Hanna in die Wohnung gekommen war. Die Art, wie sie die Tür schloss, ihre Jacke in die Ecke schleuderte und wütend einen Schrei andeutete, ließ ihn ahnen, was mit ihr los war. Keine gute Ausgangsposition für ein Gespräch, zumal seine Laune beim Warten nicht besser geworden war.
Ein paarmal tief durchatmend überlegte er seinen nächsten Schritt. Langsam erhob er sich, seine Hände gingen in einer beschwichtigenden Geste nach oben.
„Es tut mir leid, dass ich einfach so in deine Wohnung eingedrungen bin. Aber ich musste mit dir sprechen, Hanna, und zwar allein.“ Er zauberte ein entwaffnendes Lächeln auf sein Gesicht, doch da war es schon zu spät. Der Angriff kam schnell, präzise und heftig. Sein Verstand schaltete sich aus, er reagierte reflexartig. Der erste Tritt traf seinen Magen, der zweite seine Kinnspitze. Er ließ sich zu Boden fallen, rollte sich ab, während sie sich auf ihn stürzte und versuchte, seinen Hals mit ihrem Ellenbogen zu umschließen. Eine tödliche Umarmung. Er blockte sie ab, rammte ihr seinen Ellenbogen in den Magen. Die Wirkung war nicht so wie gewünscht, denn sie hatte wie er ihre Muskeln angespannt. Die Aktion verschaffte ihm Luft, aber sie unterbrach nicht den Angriff. Verdammt, sie war viel geschickter als damals in Afrika.
„Hör auf, Hanna, ich will dir nicht wehtun. Ich will nur mit dir reden.“
Seine Worte prallten an ihr ab. Er war wieder auf den Beinen und blockte passiv all die Tritte und Schläge ab, die auf ihn einprasselten. Sie tänzelte um ihn herum, ihre blauen Augen glitzerten wild. Er ließ sich ablenken und kassierte einen Schlag in die rechte Seite. Schmerzen schossen durch seinen Körper und produzierten eine Adrenalinwelle, die durch seine Adern pulsierte.
„Verdammt, Hanna“, fauchte er. Seine Augen verengten sich. und seine den ganzen Tag unterdrückte Wut brach an die Oberfläche. Obwohl der Schweiß bereits auf ihrer Haut glitzerte, sah er ihrer Haltung an, dass sie nicht aufhören würde. Statt sich weiter zu verteidigen, griff er sie an, überzeugt davon, sie mit wenigen Zügen in eine Position zu bringen, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich zu ergeben. Doch er unterschätzte sie ein zweites Mal. Langsam bekam er das Gefühl, dass es um mehr ging.
Bald
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