Hannes - Falk, R: Hannes
Brief an dich, bis zum aktuellen Stand. Ich habe das Fenster weit aufgerissen und die gute Sommerluft hereingelassen. Ab und zu ist eine der Schwestern reingekommen, hat dich umgelagert und deine diversen Anschlüsse überprüft; eine mit einemfreundlichen Lächeln (die hat mir übrigens durchs Haar gestreift), die andere mit einem Gesicht, das sagte: Heute ist ein sauguter Tag da draußen und ich muss hier in diesem verdammten Krankenhaus Infusionsflaschen kontrollieren! Das hat uns aber nicht gestört, oder, Hannes?
Irgendwann habe ich mir die Schuhe ausgezogen und mich parallel zu dir ins Bett gesetzt, die Füße ganz ausgestreckt. Ich habe dich lange angesehen, mein Freund. Du liegst da, ganz entspannt und wirkst tatsächlich sehr zufrieden. Deine Denkerstirn liegt ganz glatt, und die kleinen Kräuselfalten, die du hast, wenn du nachdenkst oder dich über irgendwas ärgerst, sind nicht zu sehen. Noch nicht einmal zu ahnen. Deine Augenlider sind wie immer nicht ganz geschlossen, und wenn ich wollte, könnte ich deine Augäpfel sehen. Will ich aber nicht. Weil das unheimlich ist. Weil du mich dann anschaust, ohne mich anzusehen. Es ist schön hier. Ein leichter Wind weht durch die Äste der alten Kastanie vor deinem Zimmerfenster und bläst die Gardinen herein. Und die Sonne wirft fliegende Schatten an die Wände. Es ist so ruhig, auch draußen im Gang, ab und zu Schritte, selten eine Tür. Wir liegen uns hier gegenüber und genießen den Tag. Irgendwann bin ich dann eingeschlafen.
Deine Mutter hat mich gegen sieben Uhr aufgeweckt und erst mal geschimpft, dass meine Füße strumpfsockig auf deinem Kopfkissen liegen. Sie hat mich mitten aus dem Schlaf gerissen, ich war verwirrt, und so hab ich sie angeschrien: »Es ist Ihr Sohn, der hier verreckt. Und wo waren Sie den ganzen lieben langen Tag, hä?« Hab mir dann die Schuhe angezogen und bin raus.
Ach ja, der Brenninger hat Kontakt aufgenommen mit dem Michel in Neuseeland. Der hat sich richtig gefreut. Der Brenninger soll auch schöne Grüße ausrichten an uns alle, und ich geb das jetzt so weiter. Der Michel weiß noch nichts von deinem Unfall, der Brenninger wollte ihm das nicht so am Telefon sagen. Da er ja jetzt erst mal Kontakt aufgenommen hat, wird er wohl bald bei dem Michel auf der Matte stehen, denk ich mal.
Und noch was: Der Kalle und die Nele waren wieder gemeinsam bei dir. Hab sie durch das Fenster in deiner Zimmertür gesehen und hab draußen gewartet, bis sie weg waren. Ist mir irgendwie unangenehm, die beiden ständig zusammen zu sehen.
Im Vogelnest gibt’s nichts Neues, außer dass ich jetzt immer mit der Zündapp statt mit dem Radl zur Arbeit fahre. Ich weiß nicht, warum, vermute mal, die quietschenden Reifen von der Redlich Iris sind dran schuld. Muss offensichtlich meine Männlichkeit unter Beweis stellen. Gestern hat sie mich abgepasst, als ich abends zur Arbeit kam (die Redlich Iris) und hat mich gefragt, ob sie da mal mitfahren kann hinten drauf. Dabei hat sie ganz sanft über den Tank gestreichelt und mir verheißungsvolle Blicke geschickt. Hab dann gesagt: »Da kommt keine Frau drauf. Niemals. Nur über meine Leiche! Nur über meine Leiche«, hab ich gesagt. Sie hat ihre Augenbraue nach oben gezogen und ist weg.
Übrigens hab ich mich noch bei deiner Mutter entschuldigt, noch am gleichen Tag. Ich hab ihr gesagt, dass es mir sehr leidtut. Und sie hat genau so reagiert, wie ich’s erwartet hab. Sie hat einfach gesagt: »Ich weiß schon, Uli.«
So. Für heute genug, melde mich morgen wieder.
Freitag, 02.06.
Tja, nun ist diese Woche auch gleich geschafft und das nahende Wochenende hebt meine Stimmung enorm. War in den letzten Tagen kaum bei dir aus diversen Gründen. Zum einen fehlt mir der verdammte Schlaf und ich komm immer erst am späten Nachmittag aus den Federn. Die Redlich Iris hat sich nämlich fest vorgenommen, sich täglich ihre Mittagspause zu versüßen. Sie kommt dann zu mir heim, was mir natürlich nicht unangenehm ist, aber mir fehlt halt der Schlaf.
Zum anderen musste ich jedes Mal, wenn ich vor deiner Tür stand, mit Entsetzen feststellen, dass du schon belagert wurdest (deine Eltern, diverse Unbekannte, die Nele und der Kalle, die Nele und der Kalle und die Nele und der Kalle. Nervtötend!).
Die Vorbereitungen zum Sommerfest hier im Vogelnest laufen auf Hochtouren, und es hat sich herausgestellt, dass sich einige hochbegabte Bastler unter den Insassen befinden. Ob du’s glaubst oder nicht, die Frau
Weitere Kostenlose Bücher