Hannes - Falk, R: Hannes
Pflegepersonal, das sich aufopfernd und liebevoll um seine Gäste kümmert ... Aber die Überschrift, Hannes, die Überschrift hat mich schon gefreut. Die Überschrift lautete nämlich: Sommerfest im Vogelnest.
Bin übrigens nach meinem Auftritt noch ein wenig bei der Frau Stemmerle gesessen und hab mit ihr geplaudert. Dabei ist sie mit einer Bitte rausgerückt. Und zwar hat sie mich gebeten, einmal an den Starnberger See zu fahren, zu ihrer alten Villa, um nach dem Rechten zu sehen. Sie hat gesagt, das sei eine Vertrauenssache und sie möchte gerne, dass ich die übernehme. Sie hat auch gesagt, dass sie nicht wisse, ob ihr Sohn dort nun wohnt oder nicht, weil sie ja keinen Kontakt zu ihm hat. Sie hat mir die Schlüssel in die Hand gedrückt undmich inständig gebeten, dort einmal nachzusehen. Werde das machen, sobald ich Zeit hab dazu.
Ach ja, und auf dem Foto vom Zeitungsfuzzi (abgesehen von der Gesamtaufnahme des Festes) war ein Foto vom Florian. Der Florian vor einem Rhododendron in wundervollster Blüte, aufgestützt auf einen Rechen, irre, nicht? Allerdings hat er mit dem Zeitungsfuzzi auch kein Wort geredet. So, nun ist das Sommerfest gelaufen, und sogar gut, wie ich meine. Und ich kann mich wieder den wesentlichen Dingen des Lebens widmen. Wobei mir eingefallen ist, dass nun die Insassen keine Aufgabe mehr haben. Basteln sollten sie jedenfalls nicht mehr, wir ersticken in dem Zeug. Mal sehen, vielleicht ergibt sich was anderes. Werde heute vor der Schicht kurz zum Baggersee fahren, die Wassertemperatur ist nun erträglich.
Donnerstag, 08.06.
Es ist wieder mal weit nach Mitternacht und ich schreibe aus dem Vogelnest. Vorgestern früh hat mich der Rick angerufen, und zwar um die Uhrzeit, wo ich für gewöhnlich grad einschlaf. Hab ihn wohl ziemlich ruppig angefahren, ob er denn nicht weiß, dass ich Nachtschicht habe, und er hat gesagt, er hätte mich sicherlich niemals gestört, wenn’s nicht so wichtig wäre. Na, jedenfalls hat er mich gebeten, mit ihm zu dir ins Krankenhaus zu gehen. Alleine würde er sich nicht trauen, eben wegen dem blöden Hausverbot. Außerdem hätte er nun einige Male auf gut Glück vor dem Eingang gewartet, hat aber leider niemanden angetroffen, mit dem er zu dir raufgehen konnte. Also haben wir ausgemacht, dass wir uns am nächstenTag vor dem Krankenhaus treffen, und das taten wir dann auch.
Als ich vom Parkplatz her Richtung Eingang gegangen bin, habe ich ihn nicht gesehen. Ich hab mir etwas Zeit gelassen, weil ich keinen Bock hatte, lange zu warten. Erst als ich näher gekommen bin, hab ich ihn erkannt und vermutlich auch nur deshalb, weil er mit beiden Armen gewinkt hat. Großer Gott, Hannes, er hatte eine dunkle Sonnenbrille auf, eine Kappe tief ins Gesicht geschoben und trug einen Bart. Ja, das ist wahr, er trug einen Bart, und nicht etwa einen zum Aufkleben, nein! Er trug einen echten, ziemlich dichten, kohlrabenschwarzen Vollbart. Vermutlich habe ich ihn eine Zeit lang angestarrt, jedenfalls hat er irgendwann gesagt: »Starr mich nicht so an!« Also hab ich aufgehört, ihn anzustarren, und habe ihn stattdessen gefragt, was der Aufzug soll und warum er sich jetzt auf einmal einen Bart wachsen lässt. Und der Rick hat gesagt: »Na, wegen dem Hannes, damit mich niemand erkennt. Wegen dem Scheiß-Hausverbot eben.«
Wir sind dann zu dir rauf und niemand hat ihn erkannt, noch nicht mal deine Mutter. Die hat ihn nämlich mit einem »Sehr angenehm« begrüßt. Der Rick ist lange auf deiner Bettkante gesessen, hat an seinen Nägeln gebissen und geredet wie ein Wasserfall. Hab mich aufs Fensterbrett gesetzt und hinausgesehen. Wollte mich da nicht einmischen. Hatte den Eindruck, der Rick musste dir so manches erzählen, und dafür hatte er einiges auf sich genommen, mein Freund. Ich hatte einen dicken Kloß im Hals.
Montag, 12.06.
Bin gestern mit der Zündapp zum Starnberger See gefahren. Habe die alte Villa von der Frau Stemmerle lange suchen müssen, sie liegt sehr versteckt und ist zugewachsen wie bei Dornröschen. Hab sie aber schließlich doch gefunden und muss schon sagen, es ist schlicht und ergreifend umwerfend dort. Das Grundstück liegt direkt am See und alter Baumbestand hat völlig Besitz ergriffen vom Garten. Ich war auch am Wasser unten, da, wo die Jasmin gestorben ist, und hab eine Gedenkminute für sie eingelegt anstelle der Frau Stemmerle. Das Haus innen ist eingestaubt bis unters Dach und lässt trotzdem erahnen, wie behaglich das mal gewesen sein muss.
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