Hannes - Falk, R: Hannes
also gestern wie von Walrika gewünscht zum Starnberger See gefahren. Zuvor natürlich (auch wie gewünscht) ins Vogelnest. Und was soll ich dir sagen, da steht die Walrika mit einem Helm auf dem Kopf und ’ner Lederjacke über der Kutte vor der Tür und fragt: »Worauf warten Sie noch, Uli? Helfen Sie mir in Gottes Namen auf dieses unsägliche Gefährt!« Ich hab gar nicht gewusst, was ich sagen soll, und tat einfach automatisch, was sie wollte. Ich musste die Maschine unglaublich weit zur Seite neigen, damit sie mit ihren kurzen Beinen aufsteigen konnte. Es hat auch eine Weile gedauert, bis sie ihre Kutte so platziert hatte, dass alles stimmte. Aber dann sind wir losgefahren. Habe im Rückspiegel gar nichts sehen können, weil ihr Schleier im Wind flatterte und mir die Sicht nahm. Irgendwann hab ich dann angehalten und gesagt, sie soll sich mit mir in die Kurven legen, nicht dagegen, weil wir sonst auf die Fresse fallen. Sie hat gesagt: »Wie Sie meinen«, und hat sich in die Kurven gelegt. Die Fahrt dauerte länger als die Woche zuvor, und ich weiß nicht, ob sie mit ihrem wehenden Schleier so viel Widerstand erzeugt hat oder ich nur vorsichtiger gefahren bin.
Jedenfalls sind wir irgendwann angekommen und zum See runtergegangen. Da stand er auch schon, der Herr Stemmerle,und hat den Blumen hinterhergeschaut. Nachdem sich die beiden bekannt gemacht hatten, hat die Walrika den Herrn Stemmerle auf ein Wort ins Haus gebeten. Nach einigem Zögern ist der mit ihr mit und ich bin am Wasser geblieben und hab Steine floppen lassen. Nach einer Weile sind sie wieder rausgekommen, und wir sind gemeinsam den schmalen Kiesweg entlang bis zur Eingangspforte gegangen. Dort haben wir uns verabschiedet und der Herr Stemmerle hat mit einem Blick auf die Zündapp gefragt: »Sie sind mit dem Motorrad hier?« Die Walrika hat gesagt: »Das haben Sie glasklar erkannt, Herr Stemmerle. Und vergessen Sie in Gottes Namen nicht, dass Sie nächsten Sonntag ins Vogelnest kommen!«
Weiß der Teufel, wie sie das wieder gemacht hat.
War danach noch bei dir und hab das Fenster weit aufgerissen. Es war stickig und warm im Zimmer und deine Hände waren ganz heiß. Hab die gute Sommerluft reingelassen und dir von meinem Ausflug erzählt. Bin auf der Fensterbank gesessen und hab in die Kastanie geschaut. Es war warm und ruhig und nur das Zirpen der Grillen war zu hören.
Freitag, 23.06.
Die Nacht ist gleich überstanden und ich schreib dir noch schnell, bevor ich das Frühstück vorbereiten muss. War gestern vor der Schicht noch kurz bei dir, und zum Glück warst du alleine. Habe mich also auf die Bettkante gesetzt und ein wenig aus meinem Brief vorgelesen. Als ich da so gesessen bin, hab ich deine Hand angeschaut, und die war heute ganz blau. Habsie dann berührt und festgestellt, dass sie nicht nur blau, sondern auch eiskalt ist. Also hab ich angefangen, deine Finger zu massieren. Leider war die Haut deiner Hand genauso trocken wie die meiner, sodass es nur sehr schlecht gegangen ist.
Na, jedenfalls bin ich irgendwie auf die Idee gekommen, ins Schwesternzimmer zu gehen und nach Vaseline zu fragen. »Wozu brauchen Sie denn Vaseline, wenn ich fragen darf?«, hat mich die Schwester gefragt. Und ich hab gesagt: »Ich möchte meinen besten Freund massieren.«
Schon als ich es gesagt hab, war mir bewusst, dass das jetzt scheiße war. Die Schwester hat mir mit hochrotem Kopf das blöde Vaseline gegeben und ich hab damit deine Hände massiert. Du hast aber naturgemäß nicht reagiert.
Sonst ist eigentlich nix passiert, außer dass ich durch die Mittagspausen von der Redlich Iris langsam auf dem Zahnfleisch daherkomme. Diese Frau hat eine Beharrlichkeit, das ist unglaublich. Sie hat mich übrigens darauf angesprochen, dass ich die Walrika auf der Zündapp mitgenommen habe. Sie wusste das, wie auch alle anderen hier im Vogelnest. Hier gibt’s keine Geheimnisse. Na, jedenfalls hat sie gesagt: »Ich dachte, du nimmst keine Frauen mit auf deinem kostbaren Motorrad?« Und ich hab gesagt: »Die Schwester Walrika ist keine Frau, weißt du. Sie ist ein Engel.«
Da hat sie aber blöd geschaut, die Redlich Iris.
Montag, 26.06.
Habe gestern den ganzen Tag geputzt, gewaschen und gebügelt. Hatte eigentlich keine Lust dazu, wie sonst auch, aberes war einfach fällig. Zwischendurch haben meine Eltern angerufen und mir erzählt, sie hätten eine irre Hitzewelle in Spanien und könnten das Haus nicht mehr verlassen, ja, noch nicht einmal das einzige Zimmer
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