Hannes - Falk, R: Hannes
als ich abends aus der Dusche kam und kurz bevor ich zur Schicht musste. Ich stand nackig im Flur und tropfte an allen erdenklichen Stellen. Nachdem sie mir gratuliert hatten, hat mich mein Vater gefragt, ob ich denn wieder Fortschritte mit der Posaune gemacht hätte. Und irgendwie ist dann der Gaul mit mir durchgegangen. Ich habe ihn angeschrien, dass ich diese dämliche Posaune noch nie haben wollte. Dass ich einfach auf irgendeinem Kindergeburtstag in eine marsgrüne Plastikposaune geblasen habe, wie alle anderen Kinder dort auch. Dass aber kein anderer Vater am nächsten Tag losgerannt sei, um eine Posaune zu kaufen, weil er gefunden hat, dass das Kind so begabt in die Plastikposaune gepustet hätte. Und dass er mich um Gottes willen künftig mit derblöden Posaune verschonen solle. Er hat gesagt, er versteht das schon, an einem Geburtstag kommen oftmals die Emotionen hoch, das gehe ihm genauso. Morgen ist wieder ein ganz normaler Tag, wirst sehen, Junge, hat er gesagt. Und dass es ihm nichts ausmacht, was ich jetzt alles gesagt hab, weil er doch tief in seinem Herzen weiß, dass ich tief in meinem Herzen die Posaune liebe. Ich bin danach nackig und tropfend mit der Posaune in den Speicher hoch und hab sie hingebracht, wo ich sie herhatte. Meine Nachbarin hat gerade die Wäsche abgenommen und hat mich komisch angeschaut. Egal.
Jedenfalls hat mir die Walrika einen Mini-Gugelhupf mitsamt Kerze auf den Balkon hinausgebracht und hatte auch einen Piccolo unter der Kutte. Später haben mich der Brenninger und der Rick gemeinsam hier im Vogelnest angerufen und Happy Birthday in den Hörer gegrölt. Sie haben gesagt, sie seien gerade im Sullivan’s und würden meinen Geburtstag feiern. Und ich soll mich jetzt mal nicht so anstellen und auch hinkommen. Ich kann ja meine Insassen einfach mitnehmen. Dann würden wir alle ’ne Riesensause machen. Ja.
Bin gestern ins Krankenhaus gefahren, um zu erfahren, wie es dir geht. Zu dir rein durfte ich natürlich noch nicht. Deine Mutter ist mit der Kleinen durch die Gänge marschiert, und die Nele hat mich nach einer Zeit durchs Türfenster erspäht. Sie ist zu mir rausgekommen und hat gesagt, es ist alles unverändert. Du würdest gucken und auch Hände drücken, sonst gäb’s aber nix Neues. Ich hab sie gefragt, ob sie dir denn das Kind schon mal gezeigt hätte, und sie hat gesagt, nein. Deine Mutter hält es dir zwar ab und zu über den Kopf, da du aber an der Wand kreist, nimmst du es nicht wahr. Ich hab gesagt,sie soll es dir mal auf die Brust legen. Du könntest es sicherlich viel besser wahrnehmen, wenn du es spürst.
Als deine Mutter kurz darauf von ihrer Tour zurückkam, hat die Nele das Kind genommen und es dir auf die Brust gelegt. Keine Bettdecke dazwischen und keine fremde Hand. Einfach Vater und Kind. Dann hat sie deine Hände genommen und auf den Rücken der Kleinen gelegt. Deine Mutter stand vor deinem Bett und hatte die Hand vor dem Mund, an ihren Augen konnte man sehen, wie sehr sie das berührte. Die Nele kniete vor deinem Bett ganz nah bei euch beiden und hat gesagt: »Das ist deine Tochter, Hannes. Und sie heißt Johanna Cornelia.«
Ich stand vor dem Türfenster und war wohl der Erste, der die Träne bemerkt hat, die dir über die Wange lief, mein Freund. Hab mich abgedreht und bin gegangen. Erst nach vielen Schritten konnte ich die aufgeregten Frauenstimmen hören, die die Träne entdeckt haben in deinem Gesicht.
Sonntag, 05.11.
Hab ganz vergessen zu erzählen, dass wir Allerheiligen alle zusammen an dem Grab von der Frau Stemmerle waren. Es waren die Insassen dabei, natürlich die Walrika und der Herr Stemmerle, der hatte den Flori mitgebracht. Wir standen also um das frische Grab, und die schwarze Erde war leicht angefroren. Auch die Blumen hatten einen Zuckerguss bekommen und unser Atem dampfte schon weiß. Es war kalt und trostlos, und doch hatte der Besuch dieses Grabes etwas unglaublich Schönes. Der Friedhof war voller Menschen und eine Kapellespielte Trauermusik. Ich weiß nicht, wer damit begonnen hat, vermutlich einer der Insassen. Jedenfalls hat mich plötzlich jemand an der Hand gefasst, und als ich mich umsah, hatte sich ein Kreis gebildet. Ein Kreis um das Grab von der Frau Stemmerle. Ich hab in die Gesichter der Menschen im Kreis gesehen, und jeder von ihnen hat mir zugenickt. Freundlich und voller Zuversicht. Und die Frau Stemmerle war genau in unserer Mitte. Das war ein erstklassiges Erlebnis, Hannes. Jedem von unseren Insassen ist in
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