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Hannes - Falk, R: Hannes

Hannes - Falk, R: Hannes

Titel: Hannes - Falk, R: Hannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Falk
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fertigmacht, dass jetzt auch noch so was kommt.Dass eure Familie jetzt doch erst recht zusammenhalten müsste, gerade jetzt nach deinem Unfall. Und die Walrika hat gesagt: »Manche Familien wachsen an einem Schicksalsschlag, andere zerbrechen daran. Dazwischen gibt es nichts. Es gibt keine Familie, bei der das Leben normal weiterläuft, Uli, auf der ganzen Welt nicht. Und eine Familie, die einen Schicksalsschlag nicht zusammen meistert, wäre über kurz oder lang sowieso auseinandergefallen.« Vermutlich hat sie recht, aber es tröstet mich trotzdem nicht. Muss nun meine Runde drehen.
    Montag, 13.11.
    Hannes, mein Freund,
    sie haben dich in einen Rollstuhl gesetzt! Das ist unglaublich. Als ich gestern bei dir war, bist du in einem Rollstuhl am Fenster gesessen und hast in die Kastanie geschaut. Die hat leider kein einziges Blatt mehr, steht nur da, kahl und leer mit ihren alten knorrigen Ästen, und lässt sich halt anschauen. Gibt gnädig den Blick frei auf das Wesentliche. Kein schmückendes Blattwerk, keine roten Blüten, nur der mächtige Stamm mit all seinen Ästen und Zweigen, die viele Jahre brauchten, um zu werden, was sie sind. Genau wie du, Hannes. Du bist noch das alte Gerüst, sitzt etwas schief in deinem Rollstuhl und lässt dich anschauen. Das ist alles. Und das ist auch genug. Genug für den Anfang. Deine Blüten und Blätter werden folgen. Genau wie bei der Kastanie. Du wirst deine Stimme wiederfinden und dein Gehör. Deine Beine werden den Boden wiederfinden und deine Augen werden wieder sehen,ohne zu kreisen. Daran glaub ich fest. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Und wir müssen geduldig sein. Aber auch die Kastanie braucht noch ein Weilchen, ehe ihr Zierwerk wieder das Wesentliche verhüllt. Das werden wir abwarten können, jede Wette. Du sitzt also vor dem Fenster und ich setz mich dazu. Du kreist in der Kastanie und ich nehme deine Hand. Darauf reagierst du klar und deutlich und suchst mit deinem wackelnden Kopf den meinen. Wirst schließlich fündig, und als dein Blick mich erreicht, drückst du meine Hand. Das ist klasse, mein Freund, und ich hätte noch vor sehr kurzer Zeit so was für komplett unmöglich gehalten. Als du nämlich in deinen Nebelschwaden gelegen bist und ich dich noch nicht mal durch das kleine Fenster in deiner Zimmertür sehen konnte. Da warst du so weit weg von mir wie nie zuvor. Und jetzt bist du wieder da und drückst meine Hand. Dein Kopf wackelt wieder hinaus in die Kastanie, aber der Druck deiner Hände bleibt. Ich drücke zurück und erzähle dir eben von diesen Gedanken.

Freitag, 17.11.
    Sitze hier im Vogelnest unter einer Stehlampe und schreib dir ein paar Zeilen, Hannes. Gerade ist mir aufgefallen, dass ich seit Sonntag kein Tageslicht mehr gesehen habe. Wenn ich am Nachmittag aufsteh, ist es schon dunkel, und wenn ich morgens heimkomm, immer noch. Na ja.
    Hab übrigens meine Posaune wieder vom Speicher holen müssen, weil die Insassen halt beschlossen haben: keine Posaune beim Morgenappell, kein Morgenappell. Sie sind einfachin ihren Betten geblieben und haben mich boykottiert. Nur auf den Schwur hin, am nächsten Tag wieder zu posaunen, sind sie schließlich aus den Federn gekommen.
    Die Walrika hat mich am Dienstag auf dem Balkon gefragt, ob ich denn am Silvesterabend vielleicht ’ne Stunde ins Vogelnest kommen könnte. Die Insassen würde das unglaublich freuen und sie selber natürlich auch. Ich hätte mir eigentlich denken können, dass dahinter wieder ein mieser Trick steckt. Aber ich habe gutgläubig und zugegebenermaßen auch etwas geschmeichelt gleich zugesagt. Das Ende vom Lied war, dass sie sich zuerst recht herzlich bedankt hat dafür, und dann ist sie rausgerückt mit der Sprache. Sie hat gesagt, das wäre ja klasse, weil, wir könnten doch prima für die Insassen ein kleines Theaterstück einüben. Und nun werde ich also am Silvesterabend mit der Walrika zusammen ›Dinner for one‹ aufführen und den Insassen in der Rolle des James den Abend versüßen. Toll. Die Walrika hat mich anschließend in die Wäschekammer gezogen und mir einen Frack und eine Perücke mit Halbglatze und grauem Haarkranz präsentiert. Sie hatte das alles bis ins kleinste Detail geplant und meine grenzenlose Naivität fest mit eingerechnet. Jedenfalls stand ich in der Wäschekammer mit Frack und Perücke und die Walrika hat sich gekrümmt vor Lachen und immer gesagt: »Nehmen Sie das nicht persönlich, Uli. Nehmen Sie das in Gottes Namen nicht persönlich!« Dabei hat

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