Hannes - Falk, R: Hannes
Tannengrün aufgestellt. Eine dicke Girlande mit roten Schleifen ziert nun den Eingang vom Vogelnest und alles sieht unglaublich behaglich aus. Die Insassen basteln quasi im Akkord und sind dabei selig. In der Küche werden Plätzchen gebacken, Tag für Tag, und allein ihr Duft ist eine Qual. Wenn mich trotz aller guten Vorsätze wieder einmal der Weg direkt zu den Plätzchendosen führt, meine Hand hineingreift, um endlich das leidige Suchtverhalten zu befriedigen,kannst du drauf wetten, dass wie aus dem Erdboden heraus die Walrika erscheint. Und obwohl ihr Gezeter in keinem Verhältnis steht zu dem Genuss, treibt es mich immer und immer wieder zu den Dosen. Ja, du siehst, die Vorbereitungen sind bald abgeschlossen und wir sehen alle in aufgeregter Erwartung der Eröffnung des Weihnachtsbasars entgegen.
Übrigens hab ich gestern wieder mal beim Schnauzbart nachgefragt, wie das mit deiner geistigen Entwicklung und so aussieht, weil eben der Brenninger und der Rick so blöd dahergeredet haben. Aber der Schnauzbart hat ähnlich blöd dahergeredet, Hannes. Er war wohl auch etwas grantig, keine Ahnung. Jedenfalls hat er gesagt: »Also, wissen Sie, Uli«, dabei ist er von seinem Schreibtisch aufgestanden und hat die Lesebrille abgenommen. Dann ist er ans Fenster und hat tief durchgeschnauft. Erst danach hat er weitergeredet: »Wissen Sie, dass Sie mir langsam, aber sicher auf den Nerv gehen? Eigentlich hätte ich jetzt bei Ihrem Besuch erwartet, dass Sie sich bedanken. Bedanken für die Fortschritte, die der Hannes macht. Wenn man bedenkt, dass er noch vor Kurzem dem Tode näher war als seinem Pyjama. Und jetzt sitzt er im Rollstuhl, erkennt seine Leute und drückt deren Hände. Das ist ein Wunder, junger Mann. Danken Sie Gott dafür, und jetzt verpissen Sie sich!«
Wie gesagt, er war nicht gut drauf irgendwie.
Dienstag, 28.11.
Das Wochenende war ziemlich anstrengend, und davon werd ich nun berichten, mein Freund. Der Basar war ein glatterErfolg, es waren unglaublich viele Menschen da, teilweise standen sie bis auf die Straße. Ja, so ein paar Spinner anzusehen, das hat wohl gerade in der Vorweihnachtszeit einen ganz besonderen Reiz. Und wenn man denen auch noch was Gutes tun und ihre Basteleien abkaufen kann, hat man doch das reine Gewissen gleich mit erstanden, nicht wahr?
Na, jedenfalls ging das Geschäft vortrefflich, und am Abend saß die Walrika mit hochgeschlagenen Kuttenärmeln in der Küche und zählte frohlockend ihre Scheine. Hinterher hat sie gesagt: »Das müssen wir im nächsten Jahr unbedingt wiederholen, Uli!«
Und da ist mir eingefallen, dass ich im nächsten Jahr nicht mehr hier sein werde. Weder zu Ostern und schon gar nicht zu Weihnachten, und das hat mich etwas traurig gemacht. Na ja.
War am Wochenende natürlich bei dir und habe mit Freude festgestellt, dass deine Schläuche weg sind. Die Schwester hat mir erzählt, du würdest jetzt langsam Nahrung zu dir nehmen. Sie hätten mit einer Schleimsuppe begonnen, und die hättest du ganz gut vertragen. Das mit dem Schlucken müsste noch besser werden, aber im Grunde klappt es schon ganz gut. Bin später in den Genuss gekommen, dich mit Schleimsuppe zu füttern, mein Freund. Und ich muss schon sagen, dein Wunsch nach schlauchloser Nahrung muss schon immens sein. Egal. Jedenfalls sind wir danach am Fenster gesessen und haben unsere Hände gedrückt. Wir waren wieder allein und ich finde es furchtbar. Es ist trostlos und qualvoll, dass ich hier alleine sitz und sonst niemand mehr kommt, der mir auf die Nerven geht.
Deshalb bin ich anschließend auch zur Nele geradelt und hab an ihrer Tür geläutet. Sie hat mich reingebeten und Tee gekocht. Ich hatte in der Zwischenzeit die Kleine auf dem Arm und hab sie mir mal genau angeschaut. Konnte aber keine Ähnlichkeit erkennen. Weder mit dir noch mit der Nele. Es ist halt ein Baby wie alle anderen auch. Sollte ich selber mal Kinder haben, werde ich sie gleich nach der Geburt tätowieren lassen, einfach um sie im Notfall wiederzufinden. Jedenfalls hat mir die Nele gesagt, dass sie nicht mehr zu dir reinwill, weil sie der Kleinen deinen Anblick ersparen möchte. Sie hat Angst, dass die Joco davon ein Trauma bekommt, hat sie gesagt. Hat die ’nen Vogel? Ich hab ihr gesagt, dass das eine Scheißausrede ist und sie soll jetzt mal Klartext reden. Und sie ist in Tränen ausgebrochen und hat gesagt, dass sie sich jetzt in den Kalle verliebt hat. Ich hab ihr dann leider nur noch sagen können, dass sie eine
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