Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
am Werk war. Das Netz bebte leicht, während sie arbeitete. Sie schien wegen des Zitherspiels ganz aufgeregt und eilte immer wieder zu verschiedenen Stellen ihres Netzes, um zu überprüfen, ob sich schon Insekten darin verfangen hatten.
Inzwischen bekam Hannibal das japanische Lied schon ganz ordentlich hin, aber manche Passagen bereiteten ihm noch immer Schwierigkeiten. Er dachte an Lady Murasakis wohlklingenden Alt, wenn sie mit ihm englisch sprach und gelegentlich wie zufällig Töne einflocht, die es auf der westlichen Tonskala nicht gab. Hannibal zupfte die Zither näher am Spinnennetz und weiter von ihm entfernt. Ein tief fliegender Käfer landete im Netz, und die Spinne begann ihn einzuspinnen.
Die Luft war ruhig und warm, das Wasser des Flusses spiegelglatt. Nah am Ufer flitzten Wasserläufer über die Oberfläche, Libellen schossen über das Schilf hinweg.
Metzger Paul Momund paddelte sein kleines Boot mit einer Hand und ließ es auf die ausladenden Weiden zutreiben. In seinem Köderkorb zirpten Grillen und lockten eine rotäugige Fliege an, die vor der Pranke des Metzgers jedoch wieder davonflog, als er sich eine Grille schnappte und sie auf den Haken spießte. Er warf die Angel unter den Ästen einer Weide aus.
Sofort wurde der Schwimmer nach unten gezogen, und es kam Bewegung in die Rute.
Paul Momund zog einen Fisch aus dem Wasser und hängte ihn zu den anderen an die Kette, die von der Seite seines Boots in den Fluss hing. Er war damit so beschäftigt, dass er die leisen Zitherklänge, die durch die Stille über den Fluss drangen, zunächst gar nicht registrierte.
Der Metzger leckte etwas Fischblut von seinem Daumen und paddelte zu dem kleinen Steg am baumbestandenen Flussufer, wo er seinen Lieferwagen abgestellt hatte. Er machte sich daran, seinen größten Fisch auf der grob gezimmerten Sitzbank auf dem Steg auszunehmen, dann legte er ihn zusammen mit etwas Eis in einen Leinenbeutel. Die anderen Fische, die an der Kette im Wasser hingen, lebten noch. In dem verzweifelten Versuch, sich zu verstecken, zogen sie die Kette unter den Steg.
Der verhaltene Klang von Zithersaiten, eine schräge Melodie, sehr fremd für französische Ohren. Paul Momund sah zu seinem Lieferwagen, als hätte er ein mechanisches Störgeräusch gehört. Mit dem Filetiermesser in der Hand stieg er die Uferböschung hinauf und untersuchte das Auto, rüttelte vorsichtig an der Antenne und betrachtete prüfend die Reifen. Zum Schluss vergewisserte er sich, dass der Wagen abgeschlossen war. Doch dann ertönten wieder diese exotischen Klänge, die er jetzt als eine Abfolge von Noten erkannte.
Der Metzger folgte dem Geräusch und ging um einige Büsche herum in das kleine Gehölz, wo er Hannibal auf einem Baumstumpf sitzen sah. Der Junge spielte auf der Koto, deren Koffer gegen ein Motorrad gelehnt war. Neben sich hatte er einen Zeichenblock liegen.
Momund lief sofort zum Lieferwagen zurück und schaute misstrauisch nach, ob er auf dem Einfüllstutzen des Tanks verräterische Zuckerkörner fand. Hannibal blickte nicht von seiner Zither auf, bis der Metzger zurückkam und sich breitbeinig vor ihm aufbaute.
»Paul Momund, Fleisch und Geflügel«, sagte Hannibal, der plötzlich alles mit unnatürlicher Schärfe wahrnahm, begleitet von einem seltsam gebrochenen Rot an den Rändern seines Gesichtsfelds, wie Eis auf einem Fenster oder auf der Linse eines Objektivs.
»Du kannst ja plötzlich wieder richtig reden, du kleiner Scheißer. Ich sag dir nur eins: Wenn du mir in den Kühler gepisst hast, reiße ich dir den Kopf ab. Und diesmal ist kein Flic in der Nähe, der dir zu Hilfe kommt.«
»Ihnen aber auch nicht.« Hannibal zupfte ein paar weitere Töne. »Für das, was Sie getan haben, gibt es kein Pardon.« Er legte die Koto beiseite und griff nach seinem Zeichenblock. Mit einem Blick auf Momund rieb er kurz mit dem kleinen Finger über das Papier, um eine geringfügige Veränderung an der Zeichnung vorzunehmen.
Dann schlug er das Blatt um, stand auf, riss das nächste leere Blatt aus dem Zeichenblock und hielt es Momund hin. »Sie schulden einer gewissen Dame die schriftliche Bitte um Verzeihung.«
Der Metzger roch nach Talg und fettigem Haar.
»Du hast sie wohl nicht alle, Kleiner.«
»Schreiben Sie, dass es Ihnen leidtut, dass Ihnen bewusst ist, wie abscheulich Sie sind, und dass Sie sie auf dem Markt nie mehr ansehen oder ansprechen werden.«
»Ich mich bei einer Japonaise entschuldigen? Da kannst du lange warten!« Paul
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