Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Meinungsverschiedenheiten kommt.
»Ich habe sehr wohl die Vormundschaft inne, Monsieur«, sagte Lady Murasaki.
»Aber das Bild gehört mir«, wandte Hannibal ein.
»Du musst deinen Besitzanspruch bei einer Anhörung vor den Kommissionsmitgliedern geltend machen«, erläuterte Trebelaux, »und diese Herren sind schon eineinhalb Jahre im Voraus ausgebucht. Bis dahin wird das Gemälde eingezogen bleiben.«
»Ich gehe noch zur Schule, Monsieur Trebelaux. Ich hatte eigentlich fest damit gerechnet ...« »Ich kann dir helfen«, sagte der Mann.
»Sagen Sie mir, wie, Monsieur.«
»Ich habe in drei Wochen einen Verhandlungstermin in einer anderen Angelegenheit.«
»Sind Sie Kunsthändler, Monsieur?«, fragte Lady Murasaki.
»Glauben Sie mir, Madame, wenn ich es mir leisten könnte wäre ich nur Sammler und nichts anderes. Aber um zu kaufen, muss ich verkaufen. Es ist mir immer wieder eine Freude schöne Dinge in den Händen zu halten, und sei es auch nur für kurze Zeit. Die Sammlung Ihrer Familie in Burg Lecter war klein, aber dafür um so erlesener.«
»Sie kannten die Sammlung?«, wollte Lady Murasaki wissen.
»Die Kunstgegenstände, die aus Burg Lecter abhanden gekommen sind, wurden der Denkmäler-Kommission meines Wissens von Ihrem verstorbenen ... von Robert Lecter gemeldet.«
»Und Sie könnten bei Ihrer Verhandlung auch meinen Fall Vorbringen?«, fragte Hannibal.
»Ich würde gemäß der Haager Konvention von 1907 in deinem Auftrag Anspruch auf das Bild erheben. Wenn du möchtest, kann ich dir kurz erklären ...«
»Ja, nach Paragraf sechsundvierzig, darüber haben wir bereits gesprochen«, sagte Hannibal. Er sah Lady Murasaki an und leckte sich die Lippen, um habgierig zu erscheinen.
»Aber, Hannibal, wir haben doch auch eine ganze Reihe anderer Optionen in Erwägung gezogen«, protestierte sie.
»Und was ist, wenn ich es nicht verkaufen will, Monsieur Trebelaux?«, fragte Hannibal.
»Dann müsstest du warten, bis du bei der Kommission einen Verhandlungstermin erhältst. Das kann so lange dauern, dass du bis dahin erwachsen bist.«
»Mein Mann hat mir erklärt, dass zu diesem Bild von Bellotto noch ein zweites Gemälde gehört«, sagte Lady Murasaki. »Zusammen sind sie wesentlich mehr wert. Sie wissen nicht zufällig, wo das andere Bild ist, das von Canaletto?«
»Nein, Madame.«
»Es soll auf keinen Fall Ihr Schaden sein, wenn es Ihnen gelänge, den Canaletto ausfindig zu machen, Monsieur Trebelaux.« Sie sah ihm tief in die Augen. »Könnten Sie mir vielleicht sagen, wie ich Sie erreichen kann?«, fügte sie mit kaum merklicher Betonung auf dem ich hinzu.
Er nannte den Namen eines kleinen Hotels in der Nähe des Gare de l’Est, dann schüttelte er Hannibal, ohne ihn dabei anzusehen, die Hand und verschwand in der Menge.
Hannibal ließ sich als Anspruchsberechtigter registrieren. Anschließend spazierten Lady Murasaki und er durch das riesige Sammelsurium von Kunstwerken. Seit er auf der Rückseite des Bellotto die Umrisse von Mischas Hand gesehen hatte, fühlte er sich am ganzen Körper vollkommen taub. Nur im Gesicht spürte er noch die Berührung von Lady Murasakis Hand, die ihm vorhin über die Wange gestrichen hatte.
Er blieb vor einer Tapisserie mit dem Titel Die Opferung Isaaks stehen und betrachtete sie lange. »In den Fluren im Obergeschoss der Burg hingen mehrere Wandbehänge«, sagte er. »Selbst wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, kam ich nur bis an ihren unteren Rand.« Er hob eine Ecke des Wandteppichs hoch und drehte sie um. »Die Rückseite der Behänge fand ich immer viel interessanter, die Schnüre und Fäden, die das Bild entstehen lassen.«
»Wie verstrickte Gedanken«, sagte Lady Murasaki.
Er ließ die Ecke des Wandteppichs sinken, sodass Abraham, der die Kehle seines Sohnes fest umspannt hielt, erzitterte, während der Engel die Hand nach dem Messer ausstreckte, um es festzuhalten.
»Glauben Sie, Gott beabsichtigte tatsächlich, Isaak aufzuessen?«, fragte Hannibal. »Trug er Abraham deshalb auf, ihn zu töten?«
»Nein, Hannibal. Natürlich nicht. Der Engel schreitet doch rechtzeitig ein.«
»Aber nicht immer«, sagte Hannibal.
Als Trebelaux, der kein Engländer, sondern Schweizer war, die beiden das Museum verlassen sah, ging er in die Herrentoilette, befeuchtete sein Taschentuch mit Wasser und kehrte zu dem Bild zurück, das Hannibal Lecter so eindringlich betrachtet hatte. Er blickte sich verstohlen um, ob jemand ihn beobachtete. Die Museumswärter
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