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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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einen weiten Weg gegangen. Er war gewachsen und passte jetzt in die Abendgarderobe des verstorbenen Grafen, während Lady Murasakis Aussehen unverändert geblieben war.
    Ihre Hand schloss sich um den Stoff ihres Rocks, und er hörte das Rascheln des Kleids über der Musik. Wohl wissend, dass sie seinen Blick spüren konnte, wandte er ihn von ihr ab und schaute sich in der Loge um.
    Die Loge hatte Charakter. Hinter den Sitzen, vor neugierig gen Blicken aus den gegenüberliegenden Logen geschützt, war eine unartige kleine, ziegenfüßige Chaiselongue, auf die ein Liebespaar sich zurückziehen konnte, während das Orchester im Graben zur Kadenz anhob – in der vorangegangenen Saison war ein älterer Herr bei den letzten Takten des Hummelflugs einem Herzversagen erlegen, wie Hannibal vom ärztlichen Notdienst erfahren hatte.
    Hannibal und Lady Murasaki waren nicht allein in der Loge.
    Auf den zwei Sitzen vor ihnen saßen der Polizeipräsident der Präfektur Paris und seine Frau, was nicht unberechtigten Anlass zu Spekulationen gab, woher Lady Murasaki die Eintrittskarten hatte. Natürlich von Inspektor Popil. Wie erfreulich, dass Popil selbst der Aufführung nicht beiwohnen konnte. Wahrscheinlich war er wegen Ermittlungen in einem Mordfall verhindert, die sich hoffentlich als zeitraubend und gefährlich erwiesen, möglichst im Freien bei schlechter Witterung, mit der Gefahr, tödlich vom Blitz getroffen zu werden.
    Im Saal gingen die Lichter an. Der Tenor Beniamino Gigli erhielt die stehenden Ovationen, die er sich redlich verdient hatte, und das vor einem schwer zufriedenzustellenden Haus. Der Polizeipräsident und seine Gattin drehten sich in der Loge und schüttelten ringsum Hände, aller Handflächen noch taub vom vielen Klatschen.
    Die Frau des Polizeipräsidenten hatte einen wachen und neugierigen Blick. Sie nahm Hannibal, der in der Abendgarderobe des Grafen eine perfekte Erscheinung abgab, sehr genau in Augenschein und konnte sich schließlich eine Frage nicht verkneifen. »Junger Mann, laut Aussagen meines Mannes sind Sie der jüngste Student, der in Frankreich jemals zum Medizinstudium zugelassen wurde ...«
    »Die Archive sind keineswegs vollständig, Madame. Sicher gab es Feldschergehilfen ...«
    »Stimmt es, dass Sie Ihre medizinischen Lehrbücher einmal durchlesen und dann binnen einer Woche in die Buchhandlung zurückbringen, um sich den gesamten Kaufpreis erstatten zu lassen?«
    »Aber nein, Madame. Das stimmt nicht ganz«, entgegnete Hannibal lächelnd. Woher sie das wohl hat? Vermutlich aus derselben Quelle, die ihm und Lady Murasaki die Opernkarten beschafft hat. Hannibal beugte sich weit zu der Dame der feinen Pariser Gesellschaft hinüber. In dem Bemühen, den Wortwechsel mit einer witzigen Bemerkung zu beenden, warf er einen kurzen Blick in Richtung Polizeipräsident und neigte sich tief über die Hand von dessen Gattin, um laut zu flüstern: »Wenn mich nicht alles täuscht, würde ich mich damit doch strafbar machen.«
    Der Polizeipräsident war guter Laune, nachdem er Faust für seine Sünden hatte büßen sehen. »Ich werde ein Auge zudrücken, junger Mann, wenn Sie vor meiner Frau umgehend ein umfassendes Geständnis ablegen.«
    »Die Wahrheit ist, dass ich nicht das ganze Geld zurückbekomme, Madame. Die Buchhandlung behält für ihre Bemühungen zweihundert Francs Bearbeitungsgebühr ein.«
    Und dann aufgestanden und unter den Torchères die breite Treppe ins Foyer der Oper hinunter. Hannibal und Lady Murasaki stiegen rascher hinab als Faust in die Hölle, um den Menschenmassen zu entkommen, über ihnen die von Isidore Pils ausgemalten Decken, überall Flügel in Farbe und Stein. Inzwischen standen Taxis auf der Place de l’Opera, Das Kohlebecken eines Maronenverkäufers durchsetzte die Luft mit einem Hauch von Fausts Albtraum. Hannibal winkte ein Taxi heran.
    »Es überrascht mich, dass Sie Inspektor Popil diese Geschichte mit den Büchern erzählt haben«, sagte er, sobald sie eingestiegen waren.
    »Er hat es selbst herausgefunden«, sagte Lady Murasaki. »Er hat es dem Polizeipräsidenten erzählt, und der hat es seiner Frau erzählt. Sie hat es nötig, ein wenig zu flirten. Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff, Hannibal.«
    Seit Neuestem ist sie in geschlossenen Räumen in meiner Gegen wart leicht verunsichert; sie bringt es in Form von Gereiztheit zum Ausdruck.
    »Verzeihung.«
    Sie sah ihn rasch an, als das Taxi an einer Straßenlaterne vorüberfuhr. »Deine Feindseligkeit

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