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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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lag, der Nachttisch neben ihm voll mit Medikamenten. Über dem Bett war eine Schweizer Pendeluhr an der Wand angebracht, von der eine Schnur auf das Kopfkissen herabhing. Er war ein verhärteter alter Mann, der einiges erlebt hatte, aber wenn ihn in der Nacht die Angst überkam, konnte er im Dunkeln an der Schnur ziehen und hören, wie die Uhr die Stunde schlug, hören, dass er noch nicht tot war. Der Minutenzeiger bewegte sich ruckend weiter. Er bildete sich ein, das Pendel würde – ene, mene, mu – den Zeitpunkt seines Todes bestimmen.
    Der alte Mann hielt das Klingelgeräusch für seinen rasselnden Atem. Er hörte draußen auf dem Flur die Stimme des Hausmädchens. Dann steckte sie den Kopf zur Tür herein, die Miene unter ihrer Morgenhaube finster.
    »Ihr Sohn, Herr.«
    Leutnant Dortlich zwängte sich an ihr vorbei in das Zimmer.
    »Guten Tag, Vater.«
    »Ich bin noch nicht tot. Noch ist es zu früh zum Plündern.« Der alte Mann fand es eigenartig, dass der Ärger inzwischen nur noch in seinem Kopf aufloderte und nicht mehr bis in sein Herz drang.
    »Ich habe dir Pralinen mitgebracht.«
    »Gib sie Bergid, wenn du gehst. Und vergewaltige sie nicht. Wiedersehen, Leutnant Dortlich.«
    »Es ist ein bisschen spät, um auf diese Tour weiterzumachen. Du hast nicht mehr lang zu leben. Ich bin gekommen, um zu sehen, ob ich sonst noch etwas für dich tun kann, außer dir diese Wohnung zur Verfügung zu stellen.«
    »Du könntest deinen Namen ändern. Die Seiten hast du ja auch schon oft genug gewechselt.«
    »Nur um am Leben zu bleiben.«
    Dortlich trug die dunkelgrünen Paspeln der sowjetischen Grenztruppen. Er streifte einen Handschuh ab und kam ans Bett des Alten. Er versuchte, mit dem Finger seinen Puls zu fühlen, aber sein Vater stieß die vernarbte Hand des Leutnants weg. Der Anblick der Hand seines Sohnes brachte einen feuchten Schimmer in die Augen des Alten. Unter erheblichen Anstrengungen berührte er die Medaillen, die von der Brust seines Sohnes baumelten, als der sich über das Bett beugte. Unter den Auszeichnungen waren Hervorragender MWD-Polizist und Hervorragender sowjetischer Pontonbrückenbauer. Mit der letzteren Auszeichnung war das allerdings so eine Sache; Dortlich hatte zwar ein paar Pontonbrücken gebaut, aber nicht für die Sowjets, sondern in einem Arbeitsbataillon der Nazis. Trotzdem, es war eine schön emaillierte Medaille, und wenn er einmal darauf angesprochen werden sollte, konnte er ja alles Mögliche erzählen.
    »Haben sie dir die Medaillen alle aus einer Tortenschachtel zugeworfen?«
    »Ich bin nicht gekommen, um mir deinen Segen zu holen, sondern um zu sehen, ob du etwas brauchst, und um mich zu verabschieden.«
    »Es war schon schlimm genug, dich in der Uniform der sowjetischen Armee zu sehen.«
    »Siebenundzwanzigstes Schützenregiment«, sagte Dortlich.
    »Und noch schlimmer, dich in Nazi-Uniform zu sehen. Das hat deine Mutter ins Grab gebracht.«
    »Wir waren viele. Nicht bloß ick allein. Ich habe ein Leben. Du hast ein Bett zum Sterben statt eines Grabens. Du hast Kohle zum Heizen. Das ist alles, was ich dir geben kann. Die Züge nach Sibirien sind brechend voll. Die Leute trampeln sich gegenseitig nieder und scheißen in ihre Mützen. Sei froh, dass du sauberes Bettzeug hast.«
    »Grutas war noch schlimmer als du, und das hast du immer gewusst.« Der Alte hielt schnaufend inne, um Atem zu holen. »Warum hast du dich ihm angeschlossen? Du hast dich mit Verbrechern der übelsten Sorte zusammengetan, ihr habt geraubt und geplündert und Toten ihre letzte Habe weggenommen.«
    Dortlich antwortete, als hätte er seinem Vater gar nicht zugehört. »Als ich klein war und mir die Hand verbrannt habe, hast du an meinem Bett gesessen und mir einen Kreisel geschnitzt. Du hast ihn mir gegeben, und als ich endlich die Peitsche halten konnte, hast du mir gezeigt, wie man ihn zum Drehen bringt. Es ist ein schöner Kreisel, mit vielen verschiedenen Tieren darauf. Ich habe ihn immer noch. Danke dafür.« Er stellte die Pralinen an den Fuß des Bettes, von wo sie der Alte nicht auf den Boden stoßen konnte.
    »Geh zurück auf deine Polizeiwache«, schimpfte Dortlichs Vater. »Such meine Akte raus, und mach einen Stempel drauf – ›keine Angehörigen bekannte«
    Dortlich zog ein Blatt Papier aus der Tasche. »Falls du möchtest, dass ich dich nach Hause überführen lasse, wenn du stirbst, musst du das hier unterschreiben und mir zurückgeben. Bergid wird dir dabei helfen und deine Unterschrift

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