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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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umgeschnallt und war mit ihnen ausgestiegen. Als der Schaffner wieder in den Zug kletterte, verdrückte sich Hannibal in den Wald. Für den Fall, dass ihn der zweite Zugbegleiter von der Lokomotive aus sah, zerriss er im Gehen eine Zeitungsseite, als wolle er im Schutz der Bäume nur sein Geschäft verrichten. Er wartete unter den Bäumen, bis sich die Dampflokomotive schwer schnaufend wieder in Bewegung setzte. Dann war er allein in der Stille des Waldes. Er war müde und ungewaschen.
    Als Hannibal sechs war, hatte ihn der Stallknecht Berndt einmal die Wendeltreppe an der Außenwand des Wassertanks hinaufgetragen und über den bemoosten Rand aufs Wasser schauen lassen, das einen kreisförmigen Ausschnitt des Himmels spiegelte. Auch auf der Innenseite des Tanks war eine Leiter. Berndt hatte sich keine Gelegenheit entgehen lassen, mit einem Mädchen aus dem Dorf im Wassertank schwimmen zu gehen. Inzwischen war Berndt tot, dort hinten, tief im Wald, gestorben. Auch das Mädchen war wahrscheinlich tot.
    Hannibal nahm im Wassertank ein rasches Bad und wusch seine Kleider. Er musste daran denken, wie er Lady Murasaki damals im Bad des Château s gesehen hatte, und stellte sich vor, mit ihr gemeinsam im Tank zu schwimmen.
    Als er danach am Bahngleis entlang zurückwanderte, musste er sich einmal in den Schutz des Waldes zurückziehen, weil er eine Draisine näher kommen hörte. Zwei kräftige Magyaren, die Hemden um den Bauch gebunden, bedienten den Hebel.
    Etwas mehr als einen Kilometer von der Burg entfernt querte eine neu gebaute sowjetische Hochspannungsleitung die Bahnstrecke. Bulldozer hatten dafür eine Schneise durch den Wald geschlagen. Hannibal konnte das Knistern des Starkstroms spüren, als er unter den dicken Stromleitungen hindurchging, und die Haare auf seinen Unterarmen stellten sich auf. Er entfernte sich so weit von der Hochspannungsleitung und den Bahngleisen, bis sich die Nadel des kleinen Kompasses auf dem Fernglas seines Vaters wieder beruhigte.
    Jetzt gab es also zwei Zugangsmöglichkeiten zum Jagdhaus, falls es überhaupt noch stand. Die Hochspannungsleitung verschwand schnurgerade in der Ferne. Wenn sie weiter in dieser Richtung durch den Wald verlief, musste sie relativ nah am Jagdhaus vorbeiführen.
    Er holte eine C-Ration aus amerikanischen Heeresbeständen aus seinem Rucksack, warf die vergilbten Zigaretten weg und öffnete eine Büchse Dosenfleisch. Beim Essen dachte er nach.
    Die Treppe stürzt auf Topfgucker, die Deckenbalken kommen herunter.
    Möglicherweise existierte das Jagdhaus gar nicht mehr.
    Wenn es allerdings noch stand und sich noch irgendwelche Gegenstände von Wert darin befanden, dann nur deshalb, weil sie unter Trümmern verschüttet waren, die für Plünderer zu schwer waren, um sie fortzubewegen. Um also tun zu können, wozu die Plünderer nicht in der Lage waren, brauchte er Unterstützung. Deshalb musste er zuerst zur Burg.
    Unmittelbar vor Einbruch der Dunkelheit schlich Hannibal durch den Wald vorsichtig auf Burg Lecter zu. Seine Gefühle blieben seltsam neutral, als er sein altes Zuhause betrachtete. Es hat nichts Heilsames, das Haus seiner Kindheit zu sehen, aber es hilft einem, zu ermessen, ob man gebrochen ist; vorausgesetzt, man will es überhaupt wissen.
    Hannibal sah die schwarzen Umrisse der Burg vor dem schwindenden Licht im Westen, zweidimensional wie das ausgeschnittene Schloss aus Pappe, in dem Mischas Papierpuppen gewohnt hatten. In Hannibals Innerem ragte ihr Pappschloss höher empor als diese Burg aus Stein. Papierpuppen kräuseln sich, wenn sie brennen. Feuer auf den Kleidern seiner Mutter.
    Unter den Bäumen hinter dem Stall konnte er das Klappern von Besteck aus dem Speisesaal hören und den Gesang der Waisenkinder, als sie die ›Internationale‹ anstimmten. Im Wald hinter ihm kläffte ein Fuchs.
    Ein Mann in schmutzstarrenden Stiefeln kam mit einem Spaten und einem Eimer aus dem Stall und ging durch den Gemüsegarten. Bevor er die Küche betrat, setzte er sich auf den Rabenstein und zog die Stiefel aus.

    Der Koch stand am Rabenstein, erzählte Berndt. Er wurde erschos sen, nur weil er Jude war, und er bespuckte den Hiwi, der ihn erschoss. Den Namen des Hiwis hatte Berndt ihm nie verraten. »Besser, du weißt ihn nicht, wenn ich diese Rechnung nach dem Krieg begleiche«, sagte er und rang die Hände.

    Inzwischen war es vollkommen dunkel. Zumindest in Teilen von Burg Lecter gab es Strom. Als im Büro des Heimleiters das Licht anging, hob Hannibal das

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