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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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den Kopf zurückwarf, als kippte er einen Schnaps. In den letzten Wochen war er dazu übergegangen, im Büro sein Jackett aufzuhängen und einen Pullover anzuziehen, den ihm seine verstorbene Frau Bella gestrickt hatte. Er sah jetzt viel älter aus als jede Erinnerung, die sie an ihren Vater hatte. »Mr. Crawford, ein Teil meiner Post wird geöffnet. Sie geben sich keine besonders große Mühe dabei. Es sieht so aus, als lösten sie den Leim über dem Dampf eines Teekessels.« »Seit Lecter Ihnen geschrieben hat, wird Ihre Post überwacht.« »Sie haben sonst immer nur die Päckchen geröntgt. Das ging in Ordnung, aber ich kann meine Post allein lesen. Niemand hat mich davon in Kenntnis gesetzt.« »Das geht nicht auf das Konto unserer Dienstaufsicht.« »Es ist aber auch nicht Deputy Dawg, Mr. Crawford - es ist jemand, der so mächtig ist, daß er eine >Titel-Drei-Überwachung< bekommt, die unter Verschluß gehalten wird.« »Aber es sieht nach der Arbeit von Amateuren aus?« Sie war lange genug still, damit er hinzufügen konnte: »Ist doch besser, wenn Sie es auf diese Weise herausgefunden haben, nicht wahr, Starling?« »Ja, Sir.« Er schürzte die Lippen und nickte. »Ich werde mich der Angelegenheit annehmen.« Er arrangierte seine Medizinflaschen in der obersten Schublade seines Schreibtisches. »Ich werde mit Carl Schirmer im Justizministerium sprechen. Wir werden das in Ordnung bringen.« Schirmer war eine lahme Ente. Gerüchten zufolge würde er Ende des Jahres in den Ruhestand treten - sämtliche Kumpane Crawfords traten in den Ruhestand. »Danke, Sir.« »Gibt es jemanden in Ihrer Polizeiklasse, der vielversprechend ist? Irgend jemand, mit dem unsere Rekrutierungsstelle sprechen sollte?« »Für die
Gerichtsmedizin kann ich noch nicht viel sagen - sie sind mir gegenüber sehr schüchtern, was den Umgang mit Sexualverbrechen angeht. Aber es gibt einige gute Schützen unter ihnen.« »Von denen haben wir mehr als genug.« Er blickte rasch zu ihr auf. »Ich habe selbstverständlich nicht Sie gemeint.« Am Ende dieses Tages, an dem sie mitgeholfen hatte, John Brighams Tod nachzustellen, ging sie zu seinem Grab in Arlington. Starling legte ihre Hand auf den Grabstein, dessen körniger Oberfläche man noch den Meißel ansah. Plötzlich hatte sie das seltsame Gefühl auf ihren Lippen, daß sie dessen wie Marmor kalte und mit Grus bedeckte Stirn küsse, wie damals, als sie an seine Bahre getreten war und ihm ihre Medaille, die sie als »Open Combat Pistol Champion« ehrte, in den weißen Handschuh geschoben hatte. In Arlington warfen die Bäume ihre Blätter ab und streuten sie auf das Gräbermeer. Starling schaute, ihre Hand auf den Grabstein gelegt, über die endlosen Reihen und fragte sich, wie viele wohl wie er durch die Dummheit und den Egoismus und das Schachern müder alter Männer vergeudet worden waren. Ob man an Gott glaubt oder nicht, wenn man Krieger ist, dann ist Arlington ein heiliger Ort, und die Tragödie ist nicht, zu sterben, sondern umsonst gestorben zu sein. Sie fühlte ein Band zwischen sich und Brigham, das nicht weniger stark war, weil sie nie ein Liebespaar gewesen waren. Sie kniete neben seinem Grabstein und erinnerte sich: John Brigham hatte sie einmal etwas gefragt, und sie hatte nein gesagt, und dann hatte er sie gefragt, ob sie Freunde bleiben könnten, und er hatte es ernst gemeint, und sie hatte ja gesagt, und es war ihr ernst damit gewesen. In Arlington kniend dachte sie an das weit entfernte Grab ihres Vaters. Sie hatte es seit dem Bestehen ihrer ersten Collegeklasse und dem sich daran anschließenden Abstecher, um ihm die Neuigkeit zu erzählen, nicht mehr besucht. Sie fragte sich, ob es nicht an der Zeit war, dorthin zurückzukehren. Der Sonnenuntergang, der durch die schwarzen Zweige in Arlington brach, hatte die Farbe der Orange, die sie sich mit ihrem Vater geteilt hatte; ein Horn, das irgendwo in der Ferne erklang, ließ sie frösteln. Der Grabstein unter ihrer Hand fühlte sich kalt an.

KAPITEL 48
    Wir können ihn durch den Eishauch unseres Atems in der sternenklaren Nacht über Neufundland sehen, ein helleuchtender Lichtpunkt im Sternbild des Orion, der langsam über uns hinwegzieht, eine Boeing 747, die sich gegen den mit hundert Meilen pro Stunde heranbrausenden Wind westwärts bewegt. Hinten in der Holzklasse, wo die Pauschaltouristen sitzen, erwarten die zweiundfünfzig Mitglieder der »Traumreise Alte Welt«, elf Länder in siebzehn Tagen, ihre Heimkehr nach Detroit

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