Hannibal
Verfolgung aufnehmen.« Krendler bekam sofort Wind von dem Kidnapping. Er hörte sich bei seinen Quellen um und rief dann Mason auf einer sicheren Leitung an. »Starling hat die Entführung gesehen. Damit hatten wir nicht gerechnet. Sie macht einen Aufstand in der Außenstelle Washington. Schlägt die Durchsuchung Ihres Anwesens vor.« »Krendler ...« Mason wartete auf seinen nächsten Atemschub oder war einfach nur wütend, Krendler konnte es nicht mit Gewißheit sagen. »Ich habe schon bei den örtlichen Stellen, dem Sheriff und dem Generalstaatsanwalt Beschwerde eingereicht, daß Starling mich ständig belästigt, mich spätnachts anruft und mir gegenüber unverständliche Drohungen ausstößt.« »Hat sie das wirklich?« »Natürlich nicht, aber das kann sie nicht beweisen. Außerdem wirbelt es Staub auf. Also, ich kann einem Durchsuchungsbefehl in diesem Bezirk und diesem Staat die Spitze nehmen. Aber ich will trotzdem, daß Sie den Generalstaatsanwalt hier anrufen und ihn daran erinnern, daß dieses hysterische Frauenzimmer hinter mir her ist. Mit den örtlichen Behörden werde ich schon allein fertig, glauben Sie mir.«
Kapitel 80
Endlich erlöst von der Polizei, wechselte Starling den Reifen und fuhr nach Hause zu ihrem eigenen Telefon und ihrem Computer. Sie vermißte ihr FBI-Handy bitter und hatte es bisher noch nicht ersetzt. Auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht von Mapp. »Starling, würze schon mal den Schmorbraten und leg ihn in den Bräter. Bitte gib auf gar keinen Fall jetzt schon das Gemüse dazu. Erinnere dich daran, was beim letztenmal passiert ist. Ich sitze hier bis gegen fünf in einer gottverdammten Anhörung fest.« Starling bootete ihren Laptop und versuchte sich in den LecterFile der Violent-Crime-Apprehension-Datenbank einzuloggen. Ihr wurde nicht nur der Zugriff zur VICAP, sondern auch zum gesamten FBINetz verweigert. Sie hatte nicht einmal mehr den Zugang, über den jeder Dorfpolizist in Amerika verfügte. Das Telefon klingelte. Es war Clint Pearsall. »Starling, haben Sie Mason Verger mit Anrufen schikaniert?« »Niemals, das schwöre ich.« »Er behauptet es aber. Er hat den Sheriff dort oben eingeladen, seinen Besitz abzufahren, genaugenommen hat er von ihm gefordert, daß er bei ihm nach dem Rechten sieht. Sie sind gerade auf dem Weg, um sich dort umzuschauen. Es gibt keinen Durchsuchungsbefehl, und es wird auch in Zukunft keinen Durchsuchungsbefehl geben. Wir waren nicht in der Lage, abgesehen von Ihnen, einen anderen Augenzeugen für die Entführung aufzutreiben.« »Ich erinnere mich an einen weißen Lincoln mit einem alten Pärchen. Mr. Pearsall, wie wäre es, Sie lassen die Kreditkartenkäufe bei Safeway für die Zeit unmittelbar vor der Entführung checken. Diese Verkäufe tragen einen Zeitstempel.« »Dazu kommen wir noch, aber es wird ...« »... wird Zeit kosten«, vollendete Starling seinen Satz. »Starling?« »Ja, Sir?« »Ganz unter uns, ich halte Sie, was die große Linie betrifft, auf dem laufenden. Aber lassen Sie die Finger davon. Sie sind während der Suspendierung kein Gesetzeshüter, und Sie dürften eigentlich nicht einmal Informationen bekommen. Sie sind Gerda Mustermann, kapiert?« »Ja, Sir, ich weiß.« Wir leben in einer Kultur, die sich keine Zeit zum Nachdenken nimmt. Wir heben nicht unseren Blick und schauen zu den Bergen hinauf. Meistens entscheiden wir wichtige Dinge, während wir auf den PVC-Boden irgendeines Ganges in irgendeiner Behörde starren oder während wir in irgendeinem Warteraum mit einem nonsenseplärrenden Fernsehgerät hastig vor uns hin flüstern. Starling, die nach Halt, nach irgendeinem Halt suchte, ging durch die Küche in die Stille und die Ordnung von Mapps Haushälfte. Sie schaute auf die Fotografie von Mapps grimmiger kleiner Großmutter, der Erfinderin des Beruhigungstees. Sie schaute auf die Versicherungspolice von Großmutter Mapp, die gerahmt an der Wand hing. Mapps Wohnung sah man an, daß Mapp dort lebte. Starling ging in ihre Wohnung zurück. Für sie sah es so aus, als lebte dort niemand. Was hatte sie eingerahmt? Ihr Diplom von der FBI-Akademie. Von ihren Eltern waren keine Fotografien erhalten. Sie lebte schon seit einer kleinen Ewigkeit ohne sie und trug ihr Bild nur im Gedächtnis. Manchmal ein Geschmack beim Frühstück oder ein Geruch, ein Gesprächsfetzen, ein vertrauter Begriff, den sie hörte, dann fühlte sie deren Hände auf sich ruhen: Am meisten fühlte sie ihre Eltern in ihrem Gespür für richtig
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