Hannibal
los, hastete zwischen den geparkten Fahrzeugen auf den Van zu. Der Lincoln mit dem älteren Mann am Steuer war wieder zurück und veranstaltete ein Hupkonzert, um den Van, der den Behindertenparkplatz blockierte, zu verscheuchen. Starlings Rufen ging in lautstarkem Hupen unter. »Anhalten! Stopp! FBI! Bleiben Sie stehen, oder ich schieße!« Vielleicht konnte sie ja einen Blick auf das Nummernschild erhaschen. Piero sah sie kommen. Blitzschnell schnitt er mit Dr. Lecters Messer das Ventil des Vorderreifens auf der Fahrerseite des Mustangs ab und hechtete in den Lieferwagen. Das Fahrzeug rumpelte über den Mittelstreifen des Parkplatzes in Richtung Ausfahrt. Einen Moment lang war das Nummernschild zu erkennen. Mit dem Finger schrieb sie die Nummer auf die verdreckte Motorhaube eines Autos. Starling hatte die Wagenschlüssel in der Hand. Als sie zu ihrem Auto kam, hörte sie, wie mit einem lauten Zischen die Luft aus dem Vorderreifen entwich. Sie konnte nur das Dach des Wagens sehen, der auf die Ausfahrt zufuhr. Sie klopfte an die Scheibe des Lincoln, der mittlerweile sie anhupte. »Haben Sie ein Mobiltelefon? FBI, bitte, haben Sie ein Mobiltelefon dabei?« »Fahr zu, Noel«, sagte die Frau im Wagen und bearbeitete das Bein ihres Mannes mit Schlägen und Stößen. »Das bedeutet Ärger. Bestimmt wieder nur so ein Trick. Laß dich bloß auf nichts ein.« Der Lincoln fuhr weg. Starling rannte zu einem Münzfernsprecher und rief über 911 die Notrufzentrale an. Deputy Mogli fuhr fünfzehn Blocks mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Carlo zog den Pfeil aus Dr. Lecters Nacken und war erleichtert, als kein Blut aus dem Einstich spritzte. Unter der Haut hatte sich inzwischen ein Bluterguß von der Größe eines Quarters gebildet. Die Injektion sollte eigentlich von einer größeren Muskelpartie aufgenommen werden. Womöglich starb der Hurensohn jetzt gerade, noch bevor ihn die Schweine umbringen konnten. Niemand sprach. Nur das schwere Atmen der Männer und das Quäken des Polizeifunks unter dem Armaturenbrett waren zu hören. Dr. Lecter lag in seinem schönen Mantel, elegant wie ein Fasan in der Auslage eines Fleischers, auf dem Boden. Der Hut war ihm vom gepflegten Kopf gerollt, und ein Blutfleck schimmerte auf seinem Mantelkragen. Mogli bog in ein Parkhaus ein und fuhr zur dritten Parketage hoch. Dort entfernte er in einer Blitzaktion die Aufkleber vom Wagen und wechselte die Nummernschilder. Er hätte sich nicht zu beunruhigen brauchen. Er lachte in sich hinein, als über Polizeifunk die Suchmeldung durchkam. Der Beamte in der Notrufzentrale hatte offensichtlich Starlings Beschreibung eines »grauen Vans oder Kleintransporters« falsch verstanden und gab eine Suchmeldung an alle Einheiten nach einem Greyhound-Bus heraus. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, daß er, bis auf eine, alle Ziffern des falschen Nummernschilds richtig mitbekommen hatte. »Wie in Illinois«, sagte Mogli. »Ich sah das Messer. Ich hatte schon Angst, daß er sich selbst umbringen würde, um dem zu entgehen, was auf ihn zukommt«, erzählte Carlo Piero und Tommaso. »Er wird sich noch wünschen, er hätte sich die Kehle durchgeschnitten.« Als Starling die anderen Reifen ihres Wagens überprüfte, bemerkte sie das Päckchen, das unter ihrem Wagen auf dem Boden lag. Eine dreihundert Dollar teure Flasche Chateau d’Yquem und eine Karte, auf der in der vertrauten Handschrift geschrieben stand: Happy Birthday, Clarice. Da begriff sie mit einemmal, was sie eben gesehen hatte. Starling hatte alle Nummern, die sie brauchte, im Kopf. Sollte sie die zehn Blocks nach Hause fahren und von dort aus anrufen? Nein, besser zurück zum Münzfernsprecher. Sie nahm einer jungen Frau den klebrigen Hörer aus der Hand, entschuldigte sich bei ihr und fütterte den Fernsprecher mit Kleingeld. Die Frau schrie nach einem Wachmann. Starling rief das Einsatzkommando der Außenstelle Washington, Buzzards Point, an. Sie war dort lange im Dienst gewesen, und alle wußten über Starling Bescheid. Sie wurde zu Clint Pearsalls Büro durchgestellt. In der Zwischenzeit kramte sie nach Münzen und verhandelte mit einem Sicherheitsbeamten des Supermarkts. Der Wachmann fragte immer wieder nach ihrem Ausweis. Endlich Pearsalls vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung. »Mr. Pearsall, ich habe drei Männer gesehen, vielleicht auch vier, die vor fünf Minuten Hannibal Lecter auf dem Parkplatz von Safeway gekidnappt haben. Sie haben mir den Reifen zerschnitten, ich konnte keine
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