Hannibal
und seine Leute hatten ihre flüchtige
Durchsuchung abgeschlossen und waren längst wieder abgefahren, als der Wagen vor der Scheune vorfuhr. Jetzt war nur noch der Haupteingang besetzt und eine kleine Gruppe von engsten Vertrauten auf der Muskrat Farm. Cordell war auf seiner Station im Spielzimmer - seine Ablösung würde gegen Mitternacht auf der Farm eintreffen. Margot und Deputy Mogli, der noch immer sein Abzeichen trug, mit dem er den Sheriff eingelullt hatte, waren bei Mason. Die Crew der Kidnapper war in der Scheune beschäftigt. Sonntagnacht würde alles vorbei sein, die Beweise entweder verbrannt oder in den Eingeweiden der sechzehn Schweine rumoren. Mason überlegte, ob er die Muräne nicht mit einer kleinen Delikatesse von Dr. Lecter füttern sollte. Die Nase vielleicht. Dann könnte er während all der Jahre, die vor ihm lagen, dem wilden Band bei seinen endlosen Achten zuschauen und sich ganz dem Wissen hingeben, daß das Zeichen für Unendlichkeit, das es abbildete, auf ewig für den Tod von Lecter stand, auf ewig tot. Zur selben Zeit wußte Mason, daß es gefährlich war, das zu bekommen, was man sich wünschte. Was würde er tun, nachdem er Dr. Lecter umgebracht hatte? Er konnte ein paar Pflegefamilien zerstören und ein paar Kinder quälen. Er konnte Martinis trinken, mit Tränen gerührt. Aber woher sollte der wirkliche Spaß kommen? Was für ein Narr wäre er doch, wenn er diese aufregende Zeit mit der Furcht vor der Zukunft verwässerte. Er wartete auf das kleine Zischen vor seinem Auge, wartete, daß die beschlagene Linse wieder aufklarte, und pustete in ein Röhrchen: Wann immer ihm der Sinn danach stand, konnte er den Videomonitor anschalten und seine Beute betrachten ...
KAPITEL 82
Der Geruch von Kohlenfeuer in der Sattelkammer von Masons Scheune und die Ausdünstungen von Menschen und Tieren. Feuerschein auf dem langgezogenen Schädel des Trabers Fleet Shadow, leer wie die Vorsehung, die mit Scheuklappen über allem wacht. Rotglühende Kohlen flackern in der Esse und leuchten im Seufzertakt des Blasebalgs, während Carlo ein Stück Eisenband erhitzt, das sich bereits hellrot zu verfärben beginnt. Dr. Lecter hängt wie ein schauriges Altarbild unterhalb des Pferdeschädels an der Wand. Seine ausgebreiteten Arme sind mit einem Strick an eine Wagendeichsel gebunden, einen dicken Querbalken aus Eichenholz, der von einem Ponywagen-Geschirr stammt. Die Wagendeichsel läuft wie ein Joch über den Rücken des Doktors und ist ihrerseits mit einem Eisenbügel aus Carlos Schmiede an der Wand befestigt. Dr. Lecters Beine reichen nicht bis auf den Boden; sie sind über der Hose wie ein Rollbraten umwickelt und verschnürt. Jede einzelne der Wicklungen ist verknotet. Keine Ketten oder Handschellen - nichts aus Metall, was die Zähne der Schweine beschädigen oder sie abschrecken würde. Als das Eisen in der Esse in Weißglut übergegangen ist, trägt Carlo es mit einer Zange zum Amboß. Er schwingt den Hammer und schmiedet das Eisenband zu einem Bügel. Funken stieben in das Halbdunkel, prallen von seiner Brust ab, sprühen zu der hängenden Gestalt von Dr. Hannibal Lecter empor. Masons Fernsehkamera, die unter all dem alten Werkzeug irgendwie seltsam wirkt, starrt auf ihrem
spinnenähnlichen Dreifuß Dr. Lecter an. Auf der Werkbank steht ein Monitor, der im Augenblick dunkel ist. Carlo erhitzt den Bügel erneut und eilt mit ihm aus der Sattelkammer, um ihn, solange er glüht und noch geschmeidig ist, an dem Gabelstapler anzubringen. Seine Hammerschläge hallen im weiten Rund der Scheune wider. Erst der Schlag, dann sein Echo, BANG-bang, BANG-bang. Ein kratzendes Zirpen dringt vom Heuboden herunter, als Piero die Wiederholung eines Fußballspiels auf Kurzwelle hereinbekommt. Sein Team, Cagliari, spielt in Rom gegen den verhaßten Club Juventus Turin. Tommaso sitzt, das Betäubungsgewehr neben sich gegen die Wand gelehnt, in einem Rohrstuhl. Seine dunklen Priesteraugen lösen sich auch nicht für eine Sekunde von Dr. Lecters Gesicht. Tommaso nimmt eine Veränderung in der Stille des gefesselten Mannes wahr. Einen subtilen Wechsel von Bewußtlosigkeit hin zu unnatürlicher Selbstbeherrschung, möglicherweise kaum mehr als ein Unterschied im Klang seines Atmens. Tommaso steht von seinem Stuhl auf und ruft in die Scheune: »Si sta svegliando.« Carlo kommt in die Sattelkammer zurück, der Hirschzahn taucht zwischen seinen Zähnen auf und verschwindet wieder. Er hat eine Hose in der Hand, die mit Früchten,
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