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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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verbrachte einen sie schier rasend machenden Nachmittag damit, die nichtkatalogisierte Hannibal-Lecter-Sammlung in der Fitzhugh-Gedächtnisbibliothek für Recht zu durchforsten. Einem Ort, wo die Zeit stillzustehen schien, während die Bibliotheksaufsicht versuchte, die Schlüssel aufzutreiben. Am Ende hielt sie ein einziges Stück Papier mit den Ergebnissen der oberflächlichen Untersuchung in Händen, der Dr. Lecter bei seiner ersten Verhaftung durch die Polizei in Baltimore unterzogen worden war. Dem Blatt waren keinerlei Krankenakten beigefügt. Inelle Corey hatte die Auflösung des Baltimore State Hospital für geistesgestörte Straftäter überstanden und war beim Maryland State Board of Hospitals untergekommen. Sie wollte von Starling nicht in ihrem Büro befragt werden, deshalb verabredeten sie sich in der Cafeteria im Erdgeschoß des Gebäudes. Starling traf aus Gewohnheit etwas früher ein. Das gab ihr Gelegenheit, den gewählten Treffpunkt diskret in Augenschein zu nehmen. Corey kam auf die Minute pünktlich. Sie war etwa fünfunddreißig Jahre alt, von leicht massiger Statur und bleich. Sie trug keinerlei Makeup oder Schmuck. Ihr Haar reichte ihr, wie schon zu High-SchoolZeiten, bis zur Hüfte hinab. Sie trug weiße Sandalen mit den passenden Strümpfen dazu. Starling griff sich an der Essensausgabe ein paar Päckchen Zucker und beobachtete Corey, wie sie an dem verabredeten Tisch Platz nahm. Man täuscht sich, wenn man glaubt, daß Protestanten alle gleich aussehen. Dem ist nicht so. Genauso, wie ein Karibe die Bewohner der einzelnen Inseln unterscheiden kann, blickte die von den Lutheranern erzogene Starling auf diese Frau und sagte zu sich selbst: Christliche Erlöserkirche, könnte von ihrem Äußeren her auch eine Nazarenerin sein. Starling nahm das schlichte Armband und den goldenen Ohrring Im unverletzt gebliebenen Ohr ab und tat den Schmuck in ihre Tasche. Die Uhr war aus Plastik, okay. Was das Übrige ihrer Erscheinung anging, konnte sie nicht viel tun. »Inelle Corey? Kaffee gefällig?« Starling balancierte zwei Becher mit Kaffee auf einem Tablett.
»Es wird Eyenelle ausgesprochen, und ich trinke keinen Kaffee.« »Dann sind eben beide für mich. Darf ich Ihnen etwas anderes bringen? Ich bin Clarice Starling.« »Ich möchte nichts. Wollen Sie mir nicht Ihren Dienstausweis zeigen?« »Selbstverständlich«, sagte Starling. »Miss Corey - darf ich Sie Inelle nennen?« Die Frau zuckte mit den Achseln. »Inelle, ich brauche Ihre Hilfe in einer Angelegenheit, die nicht Sie persönlich betrifft. Ich benötige einen Fingerzeig über den Verbleib einiger Akten aus dem Baltimore State Hospital.« Inelle Corey sprach mit jener sorgfältigen Artikulation der Worte, die eine Mischung aus Rechtschaffenheit und Ärger zum Ausdruck bringt. »Wir haben das gegenüber der Aufsichtsbehörde bereits alles bei der Schließung genau dargelegt, Miss -« »Starling.« »Miss Starling. Sie werden sich davon überzeugen können, daß niemand ohne seine Krankenakte das Haus verlassen hat. Sie werden sich darüber hinaus davon überzeugen können, daß keine Krankenakte das Haus verlassen hat, ohne daß dies von einem Vorgesetzten abgezeichnet worden wäre. Was die Akten der Verstorbenen betrifft, das Gesundheitsministerium hatte keine Verwendung für sie, das Bureau of Vital Statistics wollte sie nicht, und soweit ich weiß, waren sie noch im Baltimore State Hospital, als ich es verließ. Und ich war eine der letzten, die dort wegging. Die der Ausreißer gingen an die örtliche Polizei.« »Ausreißer?« »Das sind alle die, die uns entlaufen sind. Freigänger rissen manchmal aus.« »Gehörte Dr. Hannibal Lecter zu denjenigen, die als Ausreißer geführt wurden? Ist seine Akte an die Polizei weitergeleitet worden?« »Er war kein Ausreißer. Er wurde niemals als unser Ausreißer geführt. Er befand sich nicht in unserem Gewahrsam, als er ausbrach. Einmal bin ich in den Keller gegangen und habe ihn mir angeschaut, diesen Dr. Lecter, habe ihn meiner Schwester gezeigt, als sie mit den Jungs da war. Noch heute läuft es mir eiskalt den Rücken herunter, wenn ich bloß daran denke. Er hat einen von den anderen dazu angestachelt« - sie senkte ihre Stimme -, »Soße auf uns zu schleudern, wenn Sie wissen, was ich meine.« »Mir ist der Begriff geläufig«, sagte Starling. »War es zufällig Mr. Miggs? Er konnte gut werfen.« »Ich habe es aus meinem Gedächtnis gestrichen. Aber ich erinnere mich an Sie. Sie kamen ins

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