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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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eigentlich auch eine Röntgenaufnahme geben. Ein kühler Luftzug strich ihr übers Genick, als stünde irgendwo ein Fenster offen. Eine McDonald’s-Hamburger-Box und ein paar zerknüllte Servietten lagen auf dem Geländer. Ein fleckiger Pappbecher mit einem Rest Kaffee stand auf einer Stufe. Verdorbene
Nahrungsmittel. Ein paar Scheißhaufen und Papiertücher in der Ecke. Das Licht reichte bis zum Ende des Geländers vor der großen Stahltür, die früher den Trakt für gewalttätige Patienten abgeschlossen hatte. Die Tür stand jetzt sperrangelweit offen und war an der Wand eingehakt. Starlings Taschenlampe verfügte über fünf Batterien und sorgte für ausreichend Licht. Sie leuchtete den langen Korridor des ehemaligen Hochsicherheitstraktes hinunter. Irgend etwas Massiges hob sich am Ende des Gangs von der Wand ab. Die offenstehenden Zellentüren waren unheimlich anzusehen. Der Boden war mit Brotpapier und Pappbechern übersät. Eine CocaCola-Büchse, tiefschwarz vom Gebrauch als Crackpfeife, lag auf dem Schreibtisch, wo früher die Aufsicht gesessen hatte. Starling betätigte die Lichtschalter an der Wand hinter dem Schreibtisch. Nichts. Sie klappte ihr Handy auf. Das rote Licht zeigte an, daß hier unten an eine Verbindung nach draußen nicht zu denken war. Trotzdem sprach sie hinein: »Barry, fahr schon mal den Wagen an den Seiteneingang. Und bring ein Licht mit. Um das Zeug nach oben zu bringen, werden wir bestimmt eine Sackkarre brauchen. Ja, verdammt noch mal, komm jetzt endlich runter.« Dann sprach Starling in die Dunkelheit hinein: »Achtung an alle. Ich bin FBIAgentin. Sollte hier unten jemand illegalerweise hausen, steht es ihm frei zu gehen. Ich werde ihn nicht verhaften. Ich bin nicht an euch interessiert. Wenn ihr, nachdem ich hier fertig bin, zurückkehren wollt, dann tut das. Ihr könnt nun herauskommen. Solltet ihr jedoch versuchen, mir hier in die Quere zu kommen, werdet ihr das bitter bereuen, weil ich euch dann nämlich in den Arsch trete, daß euch Hören und Sehen vergeht. Danke für eure Aufmerksamkeit.« Der Klang ihrer Stimme hallte den Korridor entlang, in dem so viele sich heiser geschrieen und die Gitterstäbe angegeifert hatten, als ihnen die Zähne ausgefallen waren. Starling erinnerte sich an die beruhigende Anwesenheit des hünenhaften Aufsehers Barney, als sie hergekommen war, um Dr. Lecter zu befragen, erinnerte sich an die merkwürdige Zuvorkommendheit, mit der Barney und Dr. Lecter sich gegenseitig behandelt hatten. Es gab keinen Barney jetzt. Etwas aus längst vergangenen Schulzeiten blitzte in ihr auf. Um sich zu disziplinieren, erinnerte sie sich. In der Erinnerung widerhallen Schritte Den Gang entlang, den wir niemals beschritten, Gegen das Tor hin, das wir nie geöffnet In den Rosengarten. Rosengarten, richtig. Das hier war verdammt noch mal kein Rosengarten, so viel jedenfalls war sicher. Starling, durch die jüngst erschienenen Artikel darin bestärkt, nicht
nur sich selbst, sondern auch ihre Waffe zu hassen, fand die Berührung der Waffe alles andere als hassenswert, wenn sie sich unwohl fühlte. Sie hielt den .45er Colt ans Bein gepreßt und machte sich im Schutz ihrer Taschenlampe auf den Weg. Es war schwer, beide Seiten gleichzeitig im Blick zu halten. Paß auf, daß dir niemand in den Rücken fällt. Irgendwo tropfte Wasser. Zerlegte Bettgestelle stapelten sich in den Zellen. Andere enthielten nur Matratzen. Wasser stand auf dem Boden in der Mitte des Korridors. Starling, wie immer auf ihre Schuhe bedacht, wich der Pfütze aus, als sie sich vorantastete. Sie erinnerte sich an den Rat, den ihr Barney vor Jahren gegeben hatte, als alle Zellen noch belegt waren: Halten Sie sich stets in der Mitte, wenn Sie den Korridor hinuntergehen. Aktenschränke. Endlich. In der Mitte des Korridors ganz am Ende, mattes Olivgrün im Lichtkegel ihrer Taschenlampe. Hier war die Zelle, die von Multiple Miggs belegt worden war. Wie hatte sie es gehaßt, an ihr vorübergehen zu müssen. Miggs, der ihr Obszönitäten zugeflüstert und ihr seinen Samen
entgegengeschleudert hatte. Miggs, den Dr. Lecter getötet hatte, indem er ihn dazu brachte, die eigene schändliche Zunge zu verschlucken. Und als Miggs tot war, lebte Sammie in der Zelle. Sammie, dessen lyrische Ader Dr. Lecter mit erstaunlichen Ergebnissen für den Poeten gefördert hatte. Sogar jetzt noch, nach all den Jahren, konnte sie Sammie seine Verse heulen hören: ICH WILL ZU JESUSS GEHN ICH WILL ZU DIR O KRISST ICH KANN ZU JESUSS

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