Hannibal
Geld aus den Babyklamotten fis chst... Ich könnte dir locker sechs Monate extra für das letztemal aufdrücken. Nicht zu vergessen, daß es mich ein müdes Lächeln kostet, dir das Sorgerecht für dein Baby zu entziehen. Aber wenn ich die Fingerabdrücke bekomme, sorge ich dafür, daß man dich entläßt. Außerdem bekommst du zwei Millionen Lire von mir, und ich garantiere, daß sich deine Akte in Luft auflöst. Und weil es so schön ist, verschaffe ich dir zu guter Letzt auch noch australische Visa. Würde Gnocco es für dich tun?« Sie antwortete nicht. »Kannst du Gnocco auftreiben?« Pazzi ließ geräuschvoll die Luft aus seiner Nase entweichen. »Senti, pack deinen Kram zusammen, du kannst deinen falschen Arm in drei Monaten auf der Entlassungsstelle abholen, was sage ich, im nächsten Jahr. Das Baby kommt ins Findelhaus. Die alte Frau kann es dort ab und zu besuchen.« »ES? ES besuchen, Commendatore? Sein Name ist -« Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte den Namen des Kindes in Gegenwart dieses Mannes nicht aussprechen. Romula bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, fühlte den Pulsschlag in ihrem Gesicht gegen den in ihren Händen schlagen. Und dann kam es hinter ihren Händen hervor. »Ich kann ihn finden.« »Wo?« »Piazza Santo Spirito, in der Nähe des Springbrunnens. Sie machen dort immer ein Feuer, und irgend jemand bringt Wein mit.« »Ich begleite dich.« »Besser nicht«, sagte sie. »Sie würden nur seinen Ruf ruinieren. Sie haben doch Esmeralda und das Baby - Sie wissen, daß ich zurückkommen werde.« Die Piazza Santo Spirito, ein schöner Platz am linken Ufer des Arno, wirkt nachts heruntergekommen. Die Kirche ist dunkel und abgeschlossen. Stimmengewirr und Essensgerüche wehen von der Casalinga, einer vielbesuchten Trattoria, herüber. Nahe dem Springbrunnen flackert ein kleines Feuer. Der Klang einer Gitarre ist zu hören. Jemand spielt mit mehr Begeisterung als Talent. Es gibt einen guten Fado-Sänger in der Menge. Wenn ihn jemand entdeckt, wird er genötigt, nach vorn zu kommen, und mit Wein in Stimmung gebracht. Er beginnt mit einem Lied über das Schicksal. Man unterbricht ihn. Will lieber etwas Heiteres hören. Roger LeDuc, genannt Gnocco, sitzt auf dem Rand des Springbrunnens. Er hat etwas geraucht. Seine Augen sind glasig, aber er entdeckt Romula sofort, als sie am Rand der Menge jenseits des Feuers auftaucht. Er kauft zwei Orangen aus einem Automaten und folgt ihr weg vom Gesang. Sie bleiben unter einer Straßenlaterne, ein gutes Stück vom Feuer entfernt, stehen. Hier wirkt das Licht im Gegensatz zum Schein des Feuers kälter und durch die spärlichen Blätter eines kränklichen Ahornbaums wie gesprenkelt. Es verleiht Gnoccos Gesicht einen leicht grünlichen Farbton. Als Romula ihm in die Augen schaut und ihre Hand seinen Arm berührt, liegen die Schatten der Blätter wie wandernde blaue Flecken auf seinem Gesicht. Eine Klinge schnappt in seiner Hand auf wie eine glänzende kleine Zunge, und er beginnt die Orangen zu schälen. Die Schale hängt in einem einzigen langen Streifen herab. Er gibt ihr die erste Orange, und sie steckt sich einen Schnitz in den Mund, während er die zweite schält. Sie sprechen kurz in der
Zigeunersprache miteinander. Einmal schüttelt er den Kopf. Sie gibt ihm ein Handy und erklärt ihm, welche Knöpfe er drücken soll. Dann ist Pazzis Stimme an Gnoccos Ohr. Wenig später klappt Gnocco das Handy zu und steckt es in Heine Jackentasche. Romula löst eine Kette von ihrem Hals, küßt das Amulett und legt sie dem kleinen, schmuddeligen Mann um. Er blickt auf das Amulett hinunter, tänzelt ein wenig und tut so, als versengte ihm das Heiligenbild die Haut. Romula lächelt ihn kurz an. Sie löst das Armband von ihrem Handgelenk und streift es Gnocco über. Es paßt. Sein Arm ist nicht viel stärker als der ihre. »Schenkst du mir eine Stunde?« fragt Gnocco sie. »Ja«, sagt sie.
KAPITEL 28
Wieder Nacht, Dr. Fell steht in dem weiten Gewölbe des Porte di Belvedere, in dem das »Theater der Grausamkeit« gastiert, unter den Käfigen der Verdammten, entspannt an die Wand gelehnt. Er nimmt die unterschiedlichen Formen der Abwehr in den begierigen Gesichtern der Voyeure wahr, wenn sie sich, um die
Folterinstrumente geschart, erhitzt und stieren Blickes der frottage hingeben. Er sieht sie förmlich vor sich, die aufgestellten Härchen auf den Unterarmen, spürt, wie der heiße Atem über den Nacken des Vordermanns streift. Von Zeit zu Zeit preßt sich der Doktor ein
Weitere Kostenlose Bücher