Hansetochter
bedächtigen Bewegungen auf das noch warme Lager zurück und schlief sofort ein. Henrike setzte sich zu ihrem Bruder. Sein Gesicht war gerötet und seine Lippen von Bläschen umgeben, die Augen waren jedoch klar.
»Endlich bist du wieder da«, flüsterte Simon. »Aber wer ist die weißhaarige Frau gewesen?«
Sie nahm seine Hände und drückte sie erleichtert. Eine Träne rann ihr über die Wange. »Asta ist es, erinnerst du dich nicht mehr an sie? Sie ist unsere Tante! Und sie ist gar nicht so grimmig, wie wir immer dachten.«
Simon hob den Kopf und neigte ihn zu Henrike. Er schien sie nur schlecht zu verstehen.
Henrike hob die Stimme. »Ja, Simon, ich bin wieder da, und jetzt gehe ich auch nicht so schnell wieder weg.« Das war alles, was jetzt zählte.
Griseus kam hereingestürmt, stupste mit der kalten, feuchten Nase an ihre zusammengefügten Hände. Hem, der Knecht, musste ihn hinausgelassen haben. Simon lächelte froh. Henrike erzählte von Griseus und ihrem Aufenthalt auf dem Hof, doch schon nach einer Weile fielen ihm die Augen wieder zu. Während er ruhig schlief, schickte sie ein Dankgebet an den Herrn.
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Es war zur Sonntagsmesse, als sie Simon zum ersten Mal wieder allein ließen. Henrike öffnete ihre Truhe und suchte ein festliches Gewand. Nachdem sie eines beiseitegelegt hatte, stutzte sie. Wo war das Kleid geblieben, das ihr Vater ihr für den Kaiserbesuch geschenkt hatte? Sie erinnerte sich genau, es in die Truhe gelegt und mit Lavendelzweigen bedeckt zu haben. Und nun war es fort! Genau wie Margarete, Gesche und die Kätzchen, mitdenen Henrike immer so gerne geschmust hatte. So Vieles hatte sich in ihrem Zuhause verändert! Sie hatte es kaum glauben können, als Jost ihr erzählte, dass ihre Tante die Köchin entlassen hatte. Wenn sie hier geblieben wäre, hätte sie vielleicht manches verhindern können! Henrike konnte sich jetzt höchstens darum bemühen, dass Margarete und Gesche zurückgeholt wurden. Aber dafür musste sie mit ihrem Onkel sprechen – und vor dieser Begegnung graute es ihr. Es gab viel, das sie dabei falsch machen konnte. Und sie wollte auf keinen Fall, dass er sie wieder fortschickte. Sie kleidete sich um und legte Katrines wunderschönen Gürtel an, dann ging sie in das Krankenzimmer zurück. Sie wollte Asta bitten, ihr einige Bänder ins Haar zu flechten. Ihre Tante saß an Simons Bett, legte ihm ein Tuch mit Kräutern über das Ohr. Asta hatte ihre Rückkehr an die Ostsee verschoben, aber irgendwann würde es so weit sein, das wusste Henrike – und dann blieb sie ohne Schutz in diesem Hause zurück.
»Dein Onkel ist in der Schreibkammer«, begrüßte Asta sie. Es klang wie eine Aufforderung.
Henrike zog unschlüssig die Bänder zwischen ihren Fingern hindurch. »Du meinst, ich soll zu ihm gehen?«
Ihre Tante trat zu ihr. »Sorge dich nicht wegen Nikolas. Ich habe mit deinem Onkel gesprochen«, flüsterte sie. Simon sollte wohl nicht hören, was sie zu sagen hatte.
Henrike stockte der Atem. »Was hast du ihm erzählt?«, fragte sie bang.
Hatte er Asta geglaubt? Wenn ja, was war mit ihrem Ruf? Und Nikolas, würde er sich an ihr rächen?
Ihre Tante umfasste ihre Schulter, sah ihr fest in die Augen. »Er kannte natürlich nur Nikolas’ Version. Dass du versucht hast, ihn zu verführen und ihn dann unerklärlicherweise angegriffen und verletzt hast. Ich habe Hartwig die Wahrheit gesagt, und er glaubt sie wohl auch. Er scheint seinen Sohn gut genug zu kennen. Nur so konnte ich verhindern, dass Nikolas in deinerNähe bleiben und erneut über dich herfallen kann. Einen solchen Skandal könnte sich Hartwig nicht leisten, auch sein Ruf wäre dahin. Schon aus Eigennutz wird dein Onkel seinen Sohn auf Abstand zu dir halten.«
Henrike entspannte sich etwas. Damit konnte sie sich nun einigermaßen sicher fühlen. »Was ist mit dem Verwalter? Hat dir mein Onkel diesen Grapengeter auf den Hals gejagt?«, wollte sie jetzt wissen.
»Hartwig wusste angeblich nichts davon, dass ein neuer Verwalter zum Gut geschickt wurde. Wenn Nikolas für diesen Versuch, mich zu verdrängen, verantwortlich ist, wäre das ein deutliches Zeichen dafür, dass dein Onkel seinen Sohn nicht im Griff hat.«
Henrike spannte die Bänder. Wenn es sich so verhielt, war das wenig ermutigend. Wenn Nikolas derart eigenmächtig handelte, konnte sie nie sicher sein, dass er sie in Ruhe ließ; dass er es nicht noch einmal versuchen würde.
»Und der Hinterhalt im Wald?«
»Ich habe Hartwig nichts
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