Hansetochter
nach Erledigung aller Vermächtnisse an beweglichem oder unbeweglichem Gut jeglicher Art noch übrig bleibt, sollen seine Kinder zu gleichen Teilen ungestört besitzen.«
Diercksen sah auf. Er strich sich einen Schweißtropfen von der Stirn und steckte ein weiteres Stück Konfekt in den Mund. Er wirkte erschöpft. War er nicht doch zu alt für die anstrengende Tätigkeit eines Bürgermeisters?, fragte sich Henrike.
»So, jetzt wisst Ihr Bescheid. Seid Ihr nun beruhigt, Domina Asta?«
Asta stimmte zufrieden zu, aber Henrike musste noch etwas wissen: »Margarete, meine alte Amme und Köchin. Es heißt, sie habe ihren Erbteil nicht bekommen«, platzte sie heraus.
Der Ratsherr zog seine buschigen Augenbrauen in die Höhe und musterte sie durchdringend. »Wollt Ihr etwa sagen, Euer Onkel hätte sie um das ihr zustehende Geld betrogen? Das ist eine schwere Anschuldigung«, sagte er.
»Ja, ich ... Vielleicht ist es auch nur ein Missverständnis«, sagte sie verunsichert und wünschte fast, sie hätte es nicht angesprochen. Aber Recht musste Recht bleiben.
Asta legte ihre Hand auf die ihrer Nichte. »Zu schade, dass wir Margarete nicht selbst fragen können, dann wäre die Angelegenheit schnell geklärt. Sie ist wohl woanders in den Dienst getreten, hörte ich«, sagte sie wie beiläufig.
Bruno Diercksen setzte sich auf. »Wenn es das nur ist«, sagte er und erhob sich ächzend, »dann folgt mir!«
Sein Gehilfe reichte ihm eine pelzgefütterte Schaube und seine Mütze. Langsam ging er hinaus auf die Straße, gefolgt von Henrike und Asta, und wandte sich sogleich dem Nebeneingang zu. Mit seinem Stock hieb er an die Tür. War Margarete etwa hier, in der Königstraße gelandet? Ein junger Mann öffnete und sagte, der Herr sei nicht im Hause. Diercksen forderte ihn auf, sie hineinzubitten, er würde gern ein Wort mit der Köchin sprechen. Als der Diener zögerte, meinte der Ratsherr nur, dass er in seiner Funktion als Testamentsvollstrecker hier sei, und so wurden sie eingelassen.
Henrike sah sich verstohlen in der Diele um. Es roch feuchtin dem Haus, die Wandteppiche und die Einrichtung sprachen jedoch von dem Wohlstand des Besitzers. Margarete wurde herbeigeholt. Als sie Henrike erblickte, verlor sie die Ängstlichkeit in ihrem Blick, und ein Strahlen zog über das alte Gesicht. Bruno Diercksen stieß mit seinem Stock auf den Boden, und alle Blicke wandten sich ihm zu. Margarete erstarrte wieder, ihre Finger, die unaufhörlich die Schürze glattstrichen, verrieten ihre Nervosität.
»Du weißt doch, dass dein alter Herr dir in seiner Güte etwas Geld vermacht hat, oder?«
Margarete nickte stumm.
»Hast du dieses Geld erhalten?«
Sie schüttelte den Kopf, die Hände stetig in Bewegung.
»Kannst du nicht sprechen?«, fragte Diercksen und setzte beschwichtigend hinzu: »Du brauchst keine Angst zu haben, ich tue dir nichts.«
Margaretes Stimme bebte dennoch, als sie schließlich antwortete. »Der Herr hat es mir vermacht, damit ich im Alter nicht auf der Straße leben muss und auf Almosen angewiesen bin. Fast wäre es so weit gewesen, als die neue Herrin mich entlassen hat. Glücklicherweise hat Herr Vanderen mich aufgenommen.«
Henrike konnte ihre Überraschung kaum verhehlen. Adrian Vanderen wohnte hier? Und Margarete stand in seinen Diensten? Widerstreitende Gefühle überfielen sie. Einerseits war sie erleichtert, dass er nicht im Hause war, andererseits bedauerte sie es ein wenig, denn sie wäre ihm gern begegnet. War das Leben immer so schwierig, so verwirrend? Konnten Gefühle nicht klar sein, eindeutiger?
»Wenn du hier in Diensten stehst, brauchst du das Erbteil doch noch nicht, oder?«
Margarete wog ihre Worte ab. »Dat is wol recht, hoher Herr. Aber my wert bange, dass ... dass ich es gar nicht bekomme.«
Bruno Diercksen lachte. »Das kannst vielleicht du nicht wissen, Weib, aber was in einer offiziellen Urkunde festgehalten ist,wird auch geschehen. Dafür stehen die Testamentsvollstrecker ein, und das sind der ehrenwerte Bürgermeister Plescow und ich. Willst du etwa an uns zweifeln?«
Die Alte schüttelte hastig den Kopf.
Diercksen wandte sich nun Henrike und Asta zu. »So ist dieses Missverständnis wohl ausgeräumt, oder was meint Ihr?«
Bruno Diercksen ging zur Tür. Asta und Henrike mussten ihm folgen, sie waren mit ihm in dieses fremde Haus getreten, sie mussten es auch mit ihm verlassen. Trotzdem lief Henrike noch schnell zu Margarete. Sie strich ihr über den Arm und fragte, wie es
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