Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
Vom Netzwerk:
in ihre Arme.
    »Du weißt, was du zu tun hast. Du wirst es schaffen, Henrike. Du bist stark«, flüsterte sie.
    »Ja, ich werde es schaffen«, antwortete Henrike ihrer Tante mit bemühter Zuversicht, »und ich werde dir alles berichten, wenn wir uns wiedersehen.«

15
    Lübeck, Februar 1376
    D ie nächsten Tage verhielt Henrike sich ganz unauffällig und studierte die Tagesabläufe ihrer Tante und ihres Onkels. Sie ging mit Tante Ilsebe und Telse zu jedem Gottesdienst und jeder Beichte, half im Haushalt und zog sich mit ihnen in die Stube zurück, wo sie stickten oder nähten. Manchmal verschwand Ilsebe nachmittags. Sie sagte, sie wolle einer Bekannten, die alt und krank war, Gesellschaft leisten. Dabei würden die jungen Frauen nur stören, meinte sie. Henrike war das recht, denn ihr gegenüber war ihre Tante wortkarg und ungeduldig. Ilsebes Groll gegen Henrike war vermutlich noch gesteigert worden, weil Nikolas, ihr Liebling, das Haus hatte verlassen müssen. Oft schwärmte sie von ihrem Sohn. Wie geschickt ihr Nikolas die Geschäfte anging! Wie klug ihr Nikolas verhandelte! Henrike konnte es kaum ertragen. Nikolas war ein einziger Teufel, aber seine Mutter lobte ihn in den Himmel! Und Griseus, Henrikes Hund, hatte sie gleich nach Astas Abreise in den Stall verbannt. Jeden Tag holte Henrike ihn heraus, ging mit ihm vor die Stadt, und da Telse sie stets begleitete, wurden diese Spaziergänge auch gestattet.
    Wenn sie auch nach außen hin ruhig war, innerlich brodelte es in Henrike. Sie konnte ihren Unwillen kaum bezwingen, hinzu kam die Ungeduld. Sie wollte sich dringend einen Überblick über den Warenbestand und die Geschäfte verschaffen, wusste jedoch noch nicht so recht, wie sie das anstellen konnte. Sobald sie auf den Speicher gehen wollte, trat jemand in ihren Weg, meist war es Rotger. Im Keller wurde sie geduldet, vor allem, weil sie helfen konnte, Vaters Besitzstand weiter aufzuräumen. Es gab Nischen, in denen er Erinnerungsstücke der Mutter, alteKleidung und beschädigte Kramwaren gelagert hatte. Hartwig und Ilsebe schienen zu hoffen, dass sie etwas Kostbares darunter fand. Wenigstens erzählte Simon ihr, was gerade im Handel vor sich ging.
    Achtgeben musste sie auf ihren Onkel. Er war meist in der Schreibstube oder im Lager. Nur abends war er häufig unterwegs, weil die Kaufleute sich fast täglich trafen. Auch an ihrem Tisch war die anstehende Ratswahl das beherrschende Thema. Stets wurde Hartwig von Ilsebe gefragt, wer sich um einen Sitz beworben hatte und was die Ratsherren dazu sagten. Wenn Hartwig es nicht wusste, schalt sie ihn, was nur dazu führte, dass er umso stärker dem Essen und dem Wein zusprach. Fett und aufgedunsen sah er aus, fand Henrike.
    Überhaupt, das Essen! Es war schlecht geworden, seit Margarete fort war. Die Mahlzeiten der neuen, mürrischen Köchin Janne waren schal und so knapp bemessen, dass Henrike selten satt wurde. Dennoch zweigte sie Essen für Simon ab oder beschaffte es ihm aus der Speisekammer. Ihr Bruder wurde stetig kräftiger, wenn auch der Schwindel nicht verschwinden wollte. Umso mehr erbitterte es Henrike, dass der Onkel ihn an den zugigen Hafen schickte   – und meist auch noch zu unsinnigen Arbeiten! Jost suchte bei Tisch so manches Mal ihren Blick, auch traf sie ihn auf den Fluren des Hauses. Sie wagte jedoch nicht, länger mit ihm zu sprechen. Sie wollte ihren Onkel und ihre Tante in dem Gefühl wiegen, dass sie gefügig war, sonst würde ihr Vorhaben nicht gelingen.
    ~~~
    »Simon, wach auf!«
    Henrike rüttelte die Schulter ihres Bruders. Als er aufschrak, legte sie ihm sanft die Finger über den Mund.
    »Leise, es ist ganz still im Haus«, mahnte sie.
    Onkel Hartwig und sein Gehilfe Rotger schliefen. Henrike hatte bereits vor geraumer Zeit gehört, wie sie nach Hause gekommen waren. Schon lange waren ihre Schritte verklungen.
    Ihr Bruder rieb sich die Augen. »Henrike, es ist mitten in der Nacht«, murmelte er müde.
    Henrike zog ihn hoch. »Genau! Wann sollen wir sonst in Vaters Geschäftsbücher schauen?«
    Sie tapsten in die Küche, wo Henrike am glimmenden Herdfeuer einen Kienspan entzündete. Mit einem kleinen Licht gingen sie zurück in die Diele. Simon wollte schon in die Schreibstube schlurfen, doch Henrike hatte etwas anderes im Sinn.
    »Lass uns erst einmal nach oben gehen. Auf die Speicher lassen sie mich gar nicht mehr«, flüsterte sie.
    Der Anblick, der sich ihnen in den Lagerräumen bot, erschreckte sie sehr. Die beiden obersten

Weitere Kostenlose Bücher