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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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fanden Fürbitten statt, auf dass die Ratsherren eine weise Entscheidung bei der Neubesetzung der Plätze in ihrem Kreise treffen würden. Ihre Verwandten hatten sich bereits in die Marienkirche begeben, wohingegen Henrike Unpässlichkeit vorgetäuscht hatte und nun auf dem Weg in die Schreibkammer des Onkels war. Sie hatte Jost überreden können, ihr zu helfen, und so standen sie vor der Brieflade des Vaters, die noch immer fest verschlossen war. Henrike suchte nach dem Schlüssel, wühlte in dem Schubfach, drehte Vasen um und schaute hinter Bilder. Jost war unwohl bei der Sache, das war nicht zu übersehen, denn auf seinem Hals und in seinem Gesicht waren rote Flecken aufgeblüht.
    »Ihr braucht nicht länger zu suchen. Den Schlüssel trägt Euer Onkel an einer Kette um den Hals. Was hofft Ihr darin zu finden, Jungfer Henrike?«, fragte er und kratzte sich fahrig.
    »Ich möchte wissen, was hier vor sich geht, Jost. Es verstehen. Warum zum Beispiel die Frau in der Krambude des Vaters kein Wachs mehr zu einem vernünftigen Preis bekommt.«
    Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln. »Das kann ich Euch auch so sagen. Euer Vetter meint, dass sie ruhig einenhöheren Preis zahlen kann. Sie macht ja auch ein gutes Geschäft damit. Ihre Wachsartikel sind teuer.« Er nahm ihr die Brieflade ab, als sei jede Frage damit geklärt.
    Henrike überlegte. »Sie verkauft aber nicht nur das Wachs. Sie macht etwas daraus. Hast du die kunstvollen Wachsgebilde gesehen? Wie viel Arbeit darin steckt! Dieser Aufwand muss doch auch bezahlt werden.«
    Sie nahm die Brieflade wieder an sich, drückte und schob an dem Scharnier herum. Könnte man nicht etwas anderes in das Schloss einführen, um es zu öffnen? Josts Hand war wieder in seinem Gesicht zugange.
    »Findest du nicht, dass Telse heute besonders hübsch ausgesehen hat?«, versuchte Henrike ihn abzulenken.
    Doch Jost ging gar nicht darauf ein. Sie fingerte vorsichtig mit einem Schreibgriffel an dem Schloss herum, aber der war zu groß.
    »Lasst das lieber, sonst hinterlasst Ihr noch Spuren.« Jost legte seine Hand auf ihre, um ihr Einhalt zu gebieten.
    Henrike fühlte sich überrumpelt, wollte zurückzucken, zwang sich aber zur Ruhe. Seine unbeholfene Liebeserklärung stand ihr noch vor Augen.
    »Das neue Kleid steht Telse doch gut, oder?«, machte sie einen neuen Versuch.
    Er strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. Seine Augen waren geweitet und unaufhörlich auf sie gerichtet. »Ihr wisst, dass Eure Base mich nicht interessiert. Ihr hingegen   ... Für Euch würde ich alles tun. Ihr müsst mir nur befehlen.«
    Henrike zog verwirrt ihre Hand zurück und versuchte weiter, die Schatulle zu öffnen. Wie sollte sie ihm nur begreiflich machen, dass sie seine Liebe nicht erwiderte!
    Er seufzte. »Versucht es mit den Haarnadeln, manchmal gelingt es damit.«
    Zärtlich zog er die Nadeln, die sie von Adrian Vanderen bekommen hatte, aus ihrem Haar und schob sie in das Schloss. Nach einer Weile klickte es, und das Scharnier sprang auf. Henrike lächelte ihn dankbar an. Als sie die Brieflade aufklappte, wurde ihre Freude jedoch gedämpft. Papiere über Papiere, kleine und große, eng beschrieben oder nur mit wenigen Wörtern versehen. Sie begann zu lesen. Es waren Wechsel darunter, Schuldverschreibungen, zahllose Briefe, Abmachungen, auf vielen tauchte der Name Adrian Vanderen auf. Henrike las und las, verstand aber nicht alles. Manches erklärte ihr Jost, auf anderes würde sie Simon ansprechen.
    Als die Glocken erneut läuteten, legte sie die Papiere weg. Bald schon würden ihre Verwandten zurückkommen. Jost verschloss die Brieflade wieder. Hoffentlich bemerkte ihr Onkel nichts!
    Henrike lag noch etwas auf dem Herzen: »Und Jost«, bat sie, »könntest du der Krämerin das Wachs zum üblichen Preis geben?«
    Der Gehilfe sah sie abwehrend an, konnte ihr den Wunsch aber offenbar nicht abschlagen.
    »Ich werde sehen, was sich machen lässt«, seufzte er schließlich.
    ~~~
    Heute war es so weit. An diesem Tag Ende Februar würde der neue Rat in die Marienkirche und ins Rathaus einziehen. Vor zwei Tagen hatten die Bürgermeister und der alte Rat von der Ratslaube aus dem versammelten Volk die Bursprake, die Bürgeransprache, verlesen. Sie hatten Rechenschaft darüber abgelegt, dass sie der Stadt Freiheit und Gerechtigkeit nicht vergeben, verkürzt und geschwächt hatten, und die neuen Mitglieder des Rates benannt. So wie Tante Ilsebe und ihr Onkel an dem Geschehen Anteil nahmen,

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