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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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wiedergefunden, das ich verloren hatte!«, stammelte sie.
    Warum reagierte sie so verlegen? Es war völlig normal, dass sie oder Henrike mit einem der Gehilfen sprachen, schließlich lebten sie unter einem Dach.
    Ihre Mutter musterte Telse streng, doch tatsächlich hielt diese ein Tuch in den Händen. »Dann pass das nächste Mal besser darauf auf«, forderte sie und wies ihnen den Weg nach oben.
    Henrike warf Telse einen fragenden Blick zu, aber ihre Base tat so, als ob nichts gewesen wäre.
    Tief sog Henrike die Luft ein, als sie vor die Tür traten. Die Sonne hatte den letzten Schnee geschmolzen, ein Hauch von Frühling lag in der Luft. Sie begrüßten ihre Nachbarn, auch deren Gemüter schienen sich unter den ersten Sonnenstrahlen aufzuhellen. Nach dem Gottesdienst in der Marienkirche wollte ihre Tante schon nach Hause eilen. Da bat Henrike sie, mit Telse noch die Sankt-Gertrud-Kapelle vor dem Burgtor aufsuchen zu dürfen, um ein weiteres Gebet für ihren Vater zu sprechen. Seit dort drei Reliquien des heiligen Thomas von Canterburyaufbewahrt wurden, die Bürgermeister Swerting kürzlich vom englischen König erhalten hatte, war die Kapelle besonders beliebt. Ilsebe gestattete es ihnen   – sie würde sich ohnehin nach dem Mahl für ein Schläfchen zurückziehen -, mahnte die jungen Frauen jedoch, nicht vom Wege abzuweichen.
    Als ihre Tante außer Sichtweite war, schlug Henrike vor, über den Markt zu schlendern.
    »Aber wir sollen doch nicht   ...«, wandte Telse halbherzig ein.
    Henrike lächelte ihre Base spitzbübisch an. Sie hatte den Streit noch nicht vergessen, auch Telses harsche Worte klangen ihr noch im Ohr, zumal ihre Base sich nie dafür entschuldigt hatte. Aber sie musste einen Weg finden, mit ihr klarzukommen. Sie würde ihre Gunst benötigen. Allein würde sie kaum einen Weg antreten können, in Telses Beisein jedoch schon.
    »Welchen Unterschied macht es, ob wir über den Markt gehen? Dort wird uns schon nichts geschehen!«, sagte sie und hakte sich bei Telse unter.
    Diese ließ sich nicht mehr lange bitten. Gemeinsam flanierten sie an den duftenden Ständen der Gewürzkrämer vorbei, nahmen die Auslagen der Täschner in Augenschein, machten aber einen weiten Bogen um die Heringsverkäufer und den Pranger.
    Henrike hatte ein Ziel. Langsam, aber sicher lenkte sie die beiden zu der Krambude ihres Vaters, die nun ihr und Simon gehörte. Der Marktstand befand sich gleich neben einem schmalen Durchgang, der vom Volk, seiner Enge wegen, Tittentasterstraße genannt wurde. Dort gab es hauptsächlich Wachswaren zu kaufen, vor allem Kerzen, die für religiöse Zeremonien vorgeschrieben waren, aber auch Miniaturen aus Bienenwachs, die man opfern konnte, um himmlischen Schutz zu erflehen. Henrike nahm eines der Wachsschiffchen in die Hand. Eine Frau saß in der Bude und formte mit kleinen Holzbeiteln ein weiteres Wachsstück. Als sie Henrikes Interesse bemerkte, legte sie es beiseite und stand auf. Sie war jung und hatte einen so starkenSilberblick, dass Henrike nicht sicher war, ob sie sie wirklich anschaute.
    »Fährt der Vater zur See? Oder der Gemahl? Wenn Ihr diese Wachsgabe in der Kirche spendet, sichert das seinen Schutz, das ist gewiss, junge Dame.«
    Henrike stellte es vorsichtig wieder ab. »Leider ist mein Vater schon verstorben«, sagte sie.
    »Dann vielleicht eine Kerze für die Seelenmesse? Wir haben sie in verschiedenen Größen und Preisklassen, ganz nach Wunsch.«
    Als Henrike nicht darauf einging, wandte sie sich an Telse. »Und für Euch, Jungfrau, dieses Herz oder eines dieser kleinen Kinder? Sie helfen in Liebesnöten oder bei unerfülltem Kinderwunsch.«
    Telse schüttelte verwirrt den Kopf. »Woher wisst Ihr   ... Nein. Komm, lass uns gehen!« Telse zog Henrike am Ärmel.
    Als diese sich sträubte, entfernte sie sich allein einige Schritte von der Krambude.
    »Habt Ihr es Euch anders überlegt? Wollt Ihr etwas für Eure Freundin mitnehmen?«, fragte die Händlerin.
    »Verzeiht die Frage«, begann Henrike unsicher, »diese Krambude habt Ihr doch von Konrad Vresdorp gemietet. Bezieht Ihr denn auch das Wachs von seinem Handelshaus?«
    Das Verhalten der Verkäuferin veränderte sich mit einem Schlag. Sie kniff die Augen zusammen, und ihre nächsten Worte waren scharf. »Wer will das wissen? Seid Ihr von der Konkurrenz?«
    Henrike wurde durch eine Bewegung neben der Hökerin abgelenkt. Sie entdeckte erst jetzt den kleinen Jungen, der auf dem Holzboden der Bude hockte und nun erschrocken

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