Hansetochter
überfiel Henrike.
»Aber ich will auch noch etwas Spaß haben, bevor es wieder auf große Fahrt geht. Und Fastnacht steht bevor. Du weißt doch, was das heißt, Vater, oder?«
Henrike konnte sich vorstellen, was Nikolas unter Spaß verstand, und jäher Ekel ließ ihren Magen krampfen. Sie presste die Hand auf ihren Mund. Hoffentlich hatte niemand, den sie kannte, mit diesem Spaß zu tun, am wenigsten sie selbst. Sie wünschte sich nur noch fort von hier, zurück zu Asta. Aber das ging nicht, sie hatte eine Aufgabe. Doch sie war froh, dass Gesche mit Asta gegangen war. So konnte sie die Magd zumindest ein wenig entschädigen für das, was Nikolas ihr angetan hatte – wirklich wiedergutmachen würde sie es nie können.
Die Schritte kamen näher. Sie hörte, wie einige Säcke weiter etwas bewegt wurde. Wieder hörte sie Kratzen auf Stein, dann Knarren und Poltern. Was machten die beiden nur da? Hartwig rülpste heftig, murmelte etwas.
Dann war wieder Nikolas’ harsche Stimme zu hören. »Nun tu doch nicht so, als ob du nicht auch gerne mal zu den Huren gehst!«
Ein Knall war zu hören, ein scharfes Zischen. Jemand fiel zu Boden. Nah, zu nah! Henrike zuckte zurück. Ein Stöhnen. Es war Nikolas! Gleich würde sie entdeckt werden. Sie hielt den Atem an. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie hörte Schläge prasseln. Wieder fiel jemand. Dieses Mal war es Hartwig. Sie konnte durch einen Spalt seinen Kugelbauch sehen. Ein Ruck, und er wurde wieder hochgerissen, verschwand aus ihrem Blickfeld. Die nächsten Worte ließen das Blut in ihren Adern gefrieren.
»Das war das letzte Mal, hörst du, Stief vater. Wenn du noch einmal deine Hand gegen mich erhebst, schlage ich dich tot.«
~~~
Henrike wünschte sich, unsichtbar zu sein, ein Schatten. Dabei wusste sie, dass es ihr nicht allzu lange gelingen würde, sich vor Nikolas zu verbergen. Sie lief zum Stall, wollte Griseus holen. Er würde sie schützen, egal, was Tante Ilsebe dazu sagte. Doch ihr Hund war fort, nur der Wachhund lag wie gewohnt an seiner Kette. Henrike suchte den ganzen Stall ab, rief in der Umgebung nach Griseus. Hatte er sich losgemacht, war er davongelaufen? Oder war es Nikolas gewesen? Hatte er den Hund aus dem Weg geschafft, sich an ihm gerächt? Hatte er seine Wut an einem hilflosen Geschöpf ausgelassen? Tränen schossen ihr in die Augen, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich so weit beruhigt hatte, dass sie zurück ins Haus gehen konnte.
Alle saßen bereits am Tisch und aßen, nur Nikolas fehlte. Henrike setzte sich neben Simon auf ihren Stuhl, rührte ihr Essen jedoch kaum an. Einige Zeit war nur das Kauen und Schlürfen der anderen zu hören, da trat ihr Vetter ein, die Stirn gefurcht, einen Zettel in der erhobenen Hand. Alle schienen die Luft anzuhalten. Selbst Henrike vergaß für einen Moment das Verschwinden ihres Hundes.
»Wer hat dieses Wachs verkauft? Jost, warst du es?«
Henrike wurde steif vor Schreck. Jost war ihrem Wunsch also nachgekommen – und nun war es aufgeflogen. Der Gehilfe erhob sich, sein Gesicht zeigte auf einen Schlag mehr rote Flecken als helle Haut. Nikolas kam näher, packte den Kaufmannsgehilfen am Kragen, wedelte mit dem Bogen vor ihm.
»Zu diesem Preis? Habe ich es dir nicht anders befohlen?«
Er stieß ihn von sich. Jost stolperte, fiel zu Boden. Nikolas trat ihm in die Seite, der Gehilfe stöhnte auf. Henrike war schockiert über die unvermittelte Brutalität ihres Vetters, noch dazu vor aller Augen.
Nun zerriss er den Zettel, ließ ihn achtlos niederrieseln. »Das ist Verrat an unserer Familie! Du bist entlassen. Verlass das Haus, sofort!«, zischte er.
Das konnte er, das durfte er doch nicht tun! Henrike hielt es kaum auf ihrem Sitz.
Jost rappelte sich hoch. »Aber Herr Nikolas! Das könnt Ihr nicht machen. Stets habe ich Euch und Eurem Vater treu gedient!«, flehte er.
Henrike schob ihren Stuhl zurück, wollte einschreiten. Sie war verantwortlich für das, was hier gerade geschah.
Doch Simon hielt sie zurück und erhob sich stattdessen. »Jost hat auf meinen Wunsch gehandelt«, sagte ihr Bruder.
Drohend kam Nikolas auf Simon zu. Henrike fürchtete, er würde ihn schlagen, doch das, was er sagte, war schlimmer, als es eine Ohrfeige gewesen wäre.
»Dir werde ich schon Geschäftsgebaren und Gehorsam beibringen, wenn du mit mir nach Bergen fährst. Von den Spielen von Bergen hast du doch sicher schon einmal gehört, oder?« Nikolas lachte so hämisch, das Henrike eine Gänsehaut
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