Hansetochter
erreicht hatte, versetzte er Simon unvermittelt einen Tritt, so dass er gegen die Reling geschleudert wurde. Während Simon sich noch vor Schmerzen krümmte, bemerkte er aus den Augenwinkeln, das Nikolas erneut auf ihn zukam. Schon machte er sich auf einen weiteren Tritt gefasst, als ein donnernder Ruf seinem Vetter Einhalt gebot: »Jetzt reicht es aber! Für die Zeit der Seereise sind diese Jungen mir unterstellt. Wenn sie zu strafen sind, dann mache ich das. Ansonsten lasst ihr sie in Ruhe, sonst gibt es nichts zu essen, auch für Euch hohe Herren nicht!« Der Koch hatte gesprochen, den Bratspieß drohend erhoben.
Nikolas und dem anderen Mann schien Arnes Einmischung überhaupt nicht zu gefallen, dennoch gingen die beiden zu den Kaufleuten zurück. Auch der Schiffer hatte Arnes Machtwort kommentarlos hingenommen. Auf einem Schiff galten offenbar andere Gesetze als an Land.
Der Koch versorgte Claas’ Wunde und zeigte ihm dann, wo sich die Gerätschaften befanden, die man zum Reinigen des Decks benötigte. Dem Jungen fiel diese Arbeit schwer, die Schläge seines Herrn waren heftig gewesen. Doch einer der Bootsjungen, ein rothaariger Schlacks, ging Claas hilfsbereit zur Hand. Simon musste währenddessen mit Arne die letzten Gänse vorbereiten. Der Koch spießte sie auf einen langen Holzstock und gab Claas anschließend Anweisungen, ihn stetig zu drehen. Der Junge machte sich an die Arbeit. Er wirkte wackelig, als ob er sich an dem Spieß festhalten müsse. Mit seinen zehn Jahren hatte Claas vermutlich gerade erst seine Lehrzeit bei dem Kaufmann angetreten, und der schien ein barscher Herr zu sein. Einen Jungen in diesem Alter auf so eine gefahrvolle und weite Reise mitzunehmen war hart. Der Koch trug Simon auf, einen Korb Gemüse zu holen, es zu putzen und kleinzuschneiden. Als Simon das Gemüse bearbeitete und Arne gerade Fett in einem Grapen erhitzte, bedankte sich der Junge bei dem Koch für die Hilfe gegen ihre gestrengen Herren.
Arne schmiss eine Handvoll Zwiebeln in den Topf und brummelte eine Weile vor sich hin. »Ist nicht recht, Kinder so zu behandeln«, sagte er schlicht und wischte sich über die Augen.
Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont, Kälte stieg vom Meer auf. Längst hatten sie die Insel Fehmarn passiert. Ruhig gingen die Stunden dahin.
»Werden wir die Nacht durchfahren, Herr?«, wollte Simon nach einiger Zeit wissen.
Der Koch begann, die fertigen Gänse zu zerteilen und in große Schüsseln zu legen. Die Schiffsjungen lungerten mit hungrigenAugen um den Herd. Schon lange hatte der Duft des gebratenen Fleisches über dem Schiff gelegen.
»Hier bergen die Schifffahrtswege nicht so viele Gefahren, wenn uns Gott der Herr mit Sturm verschont. Später, in ungastlicheren Gestaden, müssen wir das ruhigere Wasser zwischen den Inseln und dem Festland suchen und nachts vor Anker gehen.«
Arne wies Simon und Claas an, die Krüge mit Schiffsbier zu füllen.
»Ihr seid diese Strecke wohl schon oft gefahren?«, wollte Simon wissen.
Der Koch schniefte, er schien den Zwiebeldunst nicht zu vertragen, was Simon angesichts seines Berufes ungewöhnlich fand. »Oft, ja. Zu oft«, sagte er und begann, die Stationen der Reise so gleichförmig aufzuzählen, als spräche er ein Gebet.
Obgleich Simon mit Hunger, Übelkeit und Kälte zu kämpfen hatte, war jedes Wort für ihn wie ein Versprechen: Durch den Großen Belt, zwischen den Inseln Vresen und Sprogö hindurch. Romsö, Vejrö und Hjelmen backbord liegen lassen. Der flachen Küste Jütlands in Richtung auf Kap Skagen folgen. Die Riffe und Untiefen, die der Insel Läsö vorlagen, umschiffen. Wenn westliche Winde zu einer Unterbrechung der Fahrt zwingen, den geschützten Hafen von Marstrand anlaufen, wo allerdings Seeräuber lauern konnten. Die Durchquerung des Skagerraks war ebenfalls gefährlich, aber dann lag schon die ebenso klippen- wie hafenreiche Südküste Norwegens vor ihnen. Östlich von Kap Lindesnaes konnte man gut im Scheringssund Halt machen. Dann ging der Kurs nordwestlich und schließlich nördlich an der dünenbesetzten Halbinsel Lister und dem ungastlichen Gestade der Landschaft Jedder entlang. Die auftauchenden Höhen der Insel Vestre Bukn zeigten an, dass man sich dem Kap Skudesnaes und damit der Einfahrt in den Karmsund näherte. Dort begann Bergens Led, die weitgehend binnenscheers führende Fahrstraße nach Bergen, wo man in der mit einer Kirche gezierten Ortschaft Notau vor Anker gehen konnte. Weiter nordwärts steuerte man
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