Hansetochter
sieht deine Mutter sicher anders.«
Telses Augen wurden wieder feucht, dicke Tränen kullerten die Wangen herab.
»Ich bin ›angestoßene Ware‹, sagt sie. So hat sie mich wirklich bezeichnet! Jetzt will sie mit mir nach Stralsund, zu dem Böttcher. Ich soll mit ihm auch ..., du weißt schon, damit es, falls ich schwanger bin – und das bin ich, glaube mir –, nicht auffällt«, sie schluchzte heftig. »Aber ich weiß schon, was ich tun werde. Ich gehe zu Mutters Kräuterfrau. Sie soll mir was geben, damit ich unterwegs krank werde. Ich muss es hinauszögern, bis Jost wieder da ist.«
Henrike hatte Zweifel. »Aber das kann dauern«, wandte sie ein. »Und die Kräuterfrau, wird sie dich nicht verraten?«
Telse lächelte grimmig. »Nicht, wenn ich ihr genügend zahle. Letztlich geht alles immer nur um Geld. Es ist nur eine Frage des Preises.«
Henrike gefiel das nicht. Wenn man falsche Kräuter zu sich nahm oder eine zu große Dosis von einer bestimmten Art, konnte das leicht tödlich enden. Damit wäre niemandem geholfen.
»Und wenn Jost nicht rechtzeitig wiederkommt? Wirst du dich dann weigern, den Böttcher zu heiraten?«, wollte sie wissen.
Telse rieb mit den Fäusten so hart über ihr Gesicht, als wollte sie sich selbst bestrafen.
»Das kann ich nicht. Sie erwarten von mir, dass ich mitmache. Ich muss es tun, für die Familie. Um die Familie zu retten.«
Als sie Henrikes skeptischen Blick bemerkte, erzählte sie ihr von der Abmachung mit dem Böttcher. »Er hat für Vater Fässer mit doppeltem Boden gefertigt. So konnte Vater weniger Heringe in die Fässer füllen und mehr verdienen. Vielleicht wäre das niemandem aufgefallen. Aber Vater hat auch noch neue Heringe mit alten, halb vergammelten gemischt. Dadurch ist der Betrug aufgeflogen. Jetzt will der Böttcher ihm helfen, die Gaunerei zu vertuschen. Aber dafür verlangt er Geld – und dass ich ihn heirate.«
Henrike versuchte gleichzeitig, den Schock wegen der Machenschaften ihres Onkels schnell zu verdauen und über eine Lösung des Problems nachzudenken. Da war Hartwig ja genau an den Richtigen geraten. Ihr war klar, dass ihre Verwandten kaum irgendwelche Alternativen hatten. Den Betrug einzugestehen würde ihren Onkel in den Ruin treiben – und das würde auch Simon und sie gefährden.
»Was für eine verzwickte Lage. Warum zahlt ihr dem Böttcher nicht einfach mehr? Wenn dein Vater fortan ein ehrliches Geschäft betreiben würde, wären die Verdächtigungen sicher bald aus der Welt«, schlug Henrike vor.
Telse wirkte zerknirscht. »Es ist kein Geld mehr da. Deine Mitgift ist längst futsch, und dein Erbe wird es auch bald sein. Geht alles für Vaters Schulden drauf, für Nikolas’ Unternehmungen und Bestechungsgelder.«
Henrike schoss hoch. Telse hatte ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Es stand schlechter um sie, als sie geahnt hatte!
Doch ihre Base hatte offernbar nur ihre eigenen Probleme im Sinn. Flehend bat sie: »Du musst mir helfen, Henrike! Würdest du Jost ausrichten, dass ich ihn liebe, wenn er zurückkehrt? Und dass ich alles versuchen werde, um auf ihn zu warten? Er ist doch mein Leben!«
Henrike blieb ihr die Antwort schuldig und ging wie betäubt hinaus.
20
D er Wagen stand schon vor dem Haus bereit, da zitierte Ilsebe Vresdorp Henrike noch einmal zu sich. Ihre behandschuhten Finger spielten an dem Schlüsselring, den sie an ihren Gürtel gebunden stets bei sich trug. »Magd und Knecht begleiten uns. Du bleibst mit der Köchin hier. Janne sorgt für das Vieh und euer Essen, viel braucht ihr ja nicht. Du wirst das Haus sauber halten. Damit hast du genug zu tun.«
Henrike nickte folgsam. »Ja, Tante Ilsebe«, sagte sie.
Ihre Tante blähte die Wangen kurz auf, sie wirkte unzufrieden. »Es passt mir nicht, dich allein im Hause zu lassen, das sage ich dir ehrlich. Aber in Stralsund kann ich dich noch viel weniger gebrauchen. Eine ungeratene junge Frau reicht mir.«
Sie warf Telse einen vernichtenden Blick zu, doch die schien ihn beinahe mit Stolz aufzunehmen. Sie hatte sich gestern noch davongestohlen, war in der Nähe des Gerichtshügels bei der Kräuterfrau gewesen, wie sie Henrike später erzählt hatte. Ilsebe Vresdorp hingegen hatte über den Grund der Reise und den Streit mit ihrer Tochter nichts verlauten lassen. Es ging Henrike aus ihrer Sicht wohl nichts an. Ilsebe löste den Schlüsselring. Sie hielt ihn abwägend in den Händen, bevor sie ihn weiterreichte. Henrike jubilierte innerlich.
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