Hansetochter
zu erahnen. »Simon geht es sicher gut. Er wird sich durchbeißen, Ihr werdet sehen. Er ist nicht ohne Schutz. Und wenn er hierher zurückkehrt, ist er schon fast ein richtiger Mann«, sagte er.
Henrike zog missbilligend die Augenbraue hoch. »Ich hoffe, das war keine Anspielung auf diese berüchtigten Bergener Spiele. Denn ich habe nicht den Eindruck, dass man von anderen mutwillig gequält und verhöhnt werden muss, um ein richtiger Mann zu werden.«
Der Kaufmann betrachtete sie abschätzend. »Wie Ihr vielleicht wisst, handeln in Bergen oft Kaufleute mit kleinen Vermögen. Männer am Anfang ihrer Laufbahn, etwa Handwerker, die gerade in den Kaufmannsstand aufgestiegen sind. Oder Männer an einem Tiefpunkt, manche sind verbittert oder gescheitert. An diesem Ort treffen sie nicht auf die reichen Gewürz- oder Tuchhändler aus Flandern. Wenn nun ein Kaufmannslehrling aus guter Familie in diese Gesellschaft gerät, womöglich der Sohn eines Ratsmitglieds oder aus wohlhabendem Haus, dann lässt man ihn dort gerne den Schmutz der Straße kosten. Wenn Ihr meine Ausdrucksweise entschuldigt.«
Henrike biss sich auf die Lippe. Nun war sie doch wieder unhöflich zu ihm gewesen! Wie war das nur geschehen? Um abzulenken, sprang sie auf und sagte: »Was bin ich nur für eine Gastgeberin? Möchtet Ihr vielleicht Bier oder Wein? Wir haben, glaube ich, noch Rheinwein – wenn meine Tante und mein Onkel etwas übrig gelassen haben.« Sie lachte verlegen.
»Lieber einen Kirschtrank, das wäre schön«, nahm Adrian ihr Angebot an.
Sie lief in die Küche und erwartete schon, die beiden Köchinnen im Streit zu sehen, doch die Frauen saßen einträchtig am Tisch und plauderten.
»Da staunst du, was, Mädelken? Wir kennen uns nämlich schon von früher, und boshaft ist Janne eigentlich nicht, zumindest nicht mir gegenüber«, sagte Margarete.
Die andere kniff die Augen zusammen. »Das hat sie gesagt?« Janne grinste. »Na ja, stimmt ja auch, manchmal kann ich ein Biest sein«, gab sie schließlich zu.
Die beiden Frauen lachten, und Henrike stimmte ein. Janne beschaffte ihr eine Kanne Kirschtrank und setzte sich wieder zu Margarete an den Tisch; sie schienen sich Einiges zu erzählen zu haben.
Als Henrike ihrem Gast sein Glas reichte, sagte sie entschuldigend: »Verzeiht meine harschen Worte. Ihr seid nicht dafür verantwortlich, dass Simon nach Bergen geschickt wurde. Es scheint, ich treffe, was Euch angeht, selten den richtigen Ton.«
Adrian Vanderen lächelte knapp, aber verständnisvoll. »Und außerdem sorgt Ihr Euch um Simon, ich weiß. Das ist ja auch nicht unberechtigt. Die Riten für Neulinge, die man in Bergen pflegt, können dem Vernehmen nach recht heftig sein. Aber Simon ist ein tapferer Bursche, er wird das schon durchstehen.«
Henrike hoffte von Herzen, dass er recht hatte.
Sie holte das Handelsbuch des Vaters und die Zettel hervor, auf denen sie in den letzten Wochen notiert hatte, welche Güter ihr noch verblieben waren. Gemeinsam gingen sie durch das Haus und sahen sich die Waren an. Adrian erzählte ihr, wie er es versprochen hatte, worauf sie bei welcher Ware achten müsse.
»Diebstahl und Diebstahlsvorwürfe, wie Ihr sie erlebt habt, sind eines. Dagegen ist ein Kaufmann nie gefeit, auch wenn er noch so sehr auf seine Sicherheit bedacht ist. Etwas anderessind etwa zu kurze Tuchballen, zu kleine Fässer oder Fässer mit doppeltem Boden. Da hilft nur Kontrolle. Am besten misst man selbst nach, oder man hofft darauf, dass auf der Stadtwaage die Ware kontrolliert wurde; kein Stadtrat hat ein Interesse daran, dass die unter seinem Schutz stehenden Händler betrogen werden«, erklärte Adrian. Er fuhr mit der Hand durch ein Säckchen voller Safranfäden und nahm eine Handvoll auf. »Schwieriger zu erkennen sind Warenfälschungen. Safran beispielsweise wird häufig gefälscht.«
Henrike sah von dem kleinen Wachstafelbüchlein auf, in das sie sich Notizen machte. »Ein Pfund Safran kann so viel kosten wie ein Pferd, meinte Vater.«
Ihr Vater hatte ihr erklärt, dass nur die Fäden der Safranblume für das Gewürz verwendet werden konnten und daher viele tausend Blüten für ein kleines Säckchen Safran geerntet werden mussten, was Henrike sehr beeindruckt hatte. Die riesigen Blütenfelder mussten ein wunderbarer Anblick sein. Wie so oft wünschte sie sich, einmal nach Spanien, Italien oder Frankreich reisen und den Safran direkt vor Ort einkaufen zu können. »In Böhmen frisst ein Schwein in einem Jahr mehr
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