Hansetochter
zweiter.«
»Ihr müsst mir eines Tages mehr aus der Lübecker Geschichte erzählen.«
Sie gab sein Lächeln zurück. »Das mache ich gern. Aber auch Ihr schuldet mir noch eine Geschichte. Erinnert Ihr Euch: Laurins Rosengarten?«
Er sah bedauernd zum Horizont. »Heute wird das nichts mehr, fürchte ich. Die Sonne steht tief, wir müssen zurück.«
Henrike wurde das Herz schwer. Sie hatte diesen Tag und das Beisammensein mit ihm so sehr genossen. Er war ein stattlicher Mann, der das Herz am rechten Fleck trug, und wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich noch Hals über Kopf in ihn verlieben. Oder war es schon um sie geschehen?
Sie packten die Reste der Brotzeit ein und gingen zu den Pferden, die einträchtig grasten. Adrian band den Beutel hinter seinen Sattel. Danach wandte er sich noch einmal ihr zu, als wolle er ihr etwas sagen. Erneut hoben sich seine Mundwinkel zueinem Lächeln, und er näherte sich ihr. Sie konnte seinen Atem auf ihren Wangen spüren, fühlte das Verlangen, ihn zu küssen. Ihr Herz überschlug sich fast, doch dann ergriff er nur den Kranz und hob ihn aus ihrem Haar.
»Mit diesem Kranz könnt Ihr Euch kaum in der Stadt sehen lassen«, sagte er.
Henrike, die den Kranz schon ganz vergessen hatte, bemerkte verwirrt, dass sie ein klein wenig enttäuscht war. Hatte sie sich tatsächlich nach einem Kuss von ihm gesehnt?
~~~
Es dunkelte schon, als sie die Stadt erreichten. Margarete war erleichtert, Henrike wohlbehalten zurückzubekommen, und half ihr aus der Männerkleidung. Gemeinsam brachten Adrian und die Alte Henrike in das Haus in der Alfstraße. Sie wollten sich schon verabschieden, da stürzte Janne ihnen entgegen. Die Köchin war völlig aufgewühlt.
»Gut, dass Ihr kommt! Ein Bote für Euch. Kurz nachdem Ihr gegangen seid, stand er vor der Tür. Ihr habt ihn knapp verpasst. Er ist verletzt. Ich hab ihn in die Küche gebracht!«
»Ein Bote? Aber wer ... und woher?«
Henrike lief in die Küche, wo ihr ein kleiner, pummeliger Mann aus dem Halbdunkel entgegenkam. Als er ins Licht trat, sah sie, dass sein Gesicht blutunterlaufen und sein linker Arm mit einem Tuch verbunden war. Es war Hem, Astas Schreiber und Knecht. Henrike wollte ihn ansprechen, doch da schwankte er. Sie ergriff seinen Arm und führte ihn auf die Küchenbank zurück.
»Was machst du hier? Ist etwas mit der Herrin, mit Asta?«
Hems Gesicht zuckte, die Schwellung ließ kein deutliches Mienenspiel zu. Seine Stimme bebte vor Zorn. »Sie kamen vorgestern Nacht. Haben den Hof überfallen, sie herausgezerrt und verprügelt. Plötzlich brach Feuer aus. Wir haben versucht, zu löschen. Die Frauen und Kinder haben sich im Haus verschanzt. Doch die Pferde in den Ställen haben geschrien vor Angst. Sie haben geschrien wie Kinder, wirklich! So etwas Grausiges habe ich noch nie gehört. Die Herrin hat’s nicht ausgehalten, wollte sie freilassen. Wir wollten ihr helfen, doch ...«, er verstummte.
Henrike wurde plötzlich eiskalt ums Herz, die Worte kamen ihr nur mühsam über die Lippen. »Ist sie tot?«
Hem bekreuzigte sich. »Nein, das nicht. So Gott will, lebt sie noch. Jemand konnte den Stall öffnen. Die Pferde haben einige Angreifer überrannt. Die anderen haben wir vertrieben. Wir haben die Herrin versorgt, so gut wir konnten. Aber sie schwebt zwischen Leben und Tod.«
Seine Augen schwammen in den rot-blau geschwollenen Lidern.
Henrikes Hals war wie zugeschnürt. Sie wagte nicht, zu fragen, doch sie musste es wissen. »Und Katrine?«
»Sie hat mich zu Euch geschickt. Ihr werdet helfen, hat sie gesagt.« Er packte ihre Hand, drückte sie fest. »Ihr helft doch, oder? Wer weiß, was sonst noch passiert! Einige Leute hassen die Herrin, und diese Menschen schrecken vor nichts zurück.«
Henrike verstand nicht. Asta war von manchen gefürchtet, das stimmte, aber die meisten achteten sie, wenn sie sie nicht sogar wegen ihrer Güte liebten.
»Aber wer könnte das getan haben? Wer könnte sie hassen, Hem?«
Der Mann schluckte. Janne reichte ihm einen Holzbecher, und er tat einen tiefen Schluck. »Die Leute im Ort. Seit Wochen schon zerreißen sie sich den Mund. Der Hof sei ein Hurenhaus, sagen sie. Unzucht und Ketzerei gäbe es dort, sagen sie.«
Henrike schüttelte den Kopf, sie konnte es nicht glauben. »Aber wie kommen sie nur darauf? Sie kennen Asta doch schon so lange.«
Hem stellte den Becher ab, das Klonken des Holzes durchbrach die Stille. »Es hat angefangen, als sie die Schwangere aus Lübeck
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