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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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vergeblich.

26
    Lübeck, Mai 1376
    S ehnsüchtig sah sie aus dem Fenster, sah die Sonne über den Giebeln der Häuser stehen. Seit sie vor drei Wochen in die Fleischhauerstraße gezogen waren, hatte sie das Grundstück noch nie verlassen, außer, um in die Kirche zu gehen. Sie hatte nicht einmal einen Brief an Asta einem Boten geben können, geschweige denn ihrerseits einen Brief erhalten. Ihre Tante hatte ein scharfes Auge auf Henrike, hielt sie zur Arbeit an und achtete darauf, dass sie die Schwelle zur Straße nicht unerlaubt überschritt. Dabei hatte sich das schöne Wetter fortgesetzt, der Wonnemond Mai machte seinem Namen alle Ehre.
    Schweine wurden vor dem Haus vorübergetrieben, wie mehrmals täglich. Ein Junge mit Segelohren hielt vor dem Haus inne, sprach einen der Färber an, die in dieser Straße arbeiteten. Wenn er der Hirte war, musste er sich aber sputen, um seine Schweine wieder einzuholen, dachte Henrike. Aber nein   – er kam auf ihre Haustür zu, klopfte. Und was hielt er in den Händen? Es sah aus wie ein Tuch. Sie glitt in den Flur, doch schon schickte ihr Onkel sie fort; ihre Tante war mit Janne und Rotger zum Markt gegangen.
    Henrike schloss zwar die Tür, blieb jedoch in der Nähe und lauschte. Der Junge erzählte etwas, Onkel Hartwig wurde laut, immer wieder hörte Henrike den Namen ihres Bruders. Simon   – der Junge hatte Nachricht von Simon! Doch ihr Onkel warf den Boten hinaus. Kurzentschlossen lief sie durch die Küche, schaute gar nicht, ob ihr Onkel sie bemerkte, querte den Hinterhof und rannte auf die Straße. Es war ihr egal, ob sie wieder bestraft werden würde. Sie musste wissen, was mit Simon war! Und nicht vonihrem Onkel, der ihr ohnehin nicht die Wahrheit sagen würde   – wenn er ihr überhaupt etwas sagte. Sie stand in der Mitte der Fleischhauerstraße, sah sich hastig um. Wo war er? Da, er bog gerade in die nächste Gasse!
    »Junge, warte!«, rief sie. »Hast du Nachricht von Simon?«
    Der Junge blieb stehen. Durch seine abstehenden Ohren schimmerte rötlich das Sonnenlicht. Er war klein und zart, aber sein Gesicht war so abgeklärt wie das eines Älteren.
    »Bist du Henrike?«, fragte er zögernd. »Ich heiße Claas. Ich war mit Simon in Bergen.«
    Henrike hätte ihn am liebsten umarmt. Schnell zog sie ihn in einen Hauseingang.
    »Du warst   ...? Aber, was ist mit Simon? Wo ist er?« Ihre Stimme drohte zu kippen.
    Der Junge zupfte sich am Ohrläppchen. »Simon ist noch in Bergen. Aber es geht ihm nicht gut. Deshalb habe ich eurem Onkel Simons blutiges Hemd gebracht, damit er ihn endlich zurückholt. Aber ihn hat das nicht interessiert.« Claas wirkte bedrückt.
    Henrike konnte kaum an sich halten vor Sorge. »Sein blutiges Hemd?«
    Der Junge zog die Schultern hoch. »Sein Vetter lässt ihn einfach nicht in Ruhe.«
    Tränen der Wut schossen Henrike in die Augen. »Ich wusste es«, sagte sie mit erstickter Stimme.
    »Aber Simon ist zäh. Er wird es schaffen. Er ist nicht so wie ich.« Er deutete an sich herab. »Er hat mich sogar beschützt! Wenn ich einen Freund habe, dann ist er es.«
    Henrike bezwang ihren Kummer. Sie fragte ihn noch nach den Vorkommnissen in Bergen, bevor ihre Tante mit Janne und Rotger die Straße entlangkam. Henrike versteckte sich hinter den Zweigen einer Kletterrose. Glücklicherweise hatten die drei nicht links noch rechts geschaut.
    »Ich muss zurück«, sagte sie bedauernd.
    »Vielleicht kannst du dich ja für Simons Heimkehr einsetzen«, sagte Claas hoffnungsfroh.
    »Ja, vielleicht«, meinte Henrike schwach.
    Claas hob die Hand zu einem letzten Gruß, dann trat er auf die Straße. »Wenn er nach Hause kommt, und das wird er, dann grüße ihn von mir. Vielleicht hat er ja auch günstige Winde und braucht nur neun Tage für die Reise wie ich. Sobald ich eine feste Stelle habe, melde ich mich!«
    Als sie das Grundstück durch den Hofeingang wieder betrat, hörte sie, wie Hartwig und Ilsebe sich anschrien, wieder einmal.
    »Das ist alles? Die paar Cypollen und kein Wein?«
    »Ja, Zwiebeln statt Wein! Es lässt eben keiner mehr anschreiben. Streng dich doch mal an, damit wir zu Geld kommen!« Ein Schlag, ein Kreischen. »Ja, das kannst du. Das ist aber auch alles. Hätte ich dich doch bloß nie geheiratet!«
    Am Abend sprach sie ihren Onkel auf den Besuch des Jungen an. Aber er meinte nur, dass es Simon in Bergen sehr gut ging, und er grinste dabei.
    ~~~
    Henrike lauschte in das Haus hinein. Dann stand sie auf und holte aus ihrem Beutel die

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