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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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suchte Spalten im Holz, an denen er sich festhalten konnte, kraxelte hoch.
    Simon zögerte einen Moment. Was, wenn sie jemand sehen würde? Andererseits saßen die Kaufleute im Schütting, und die beiden Schlüsselmeister waren bereits mit ihren Hunden durch den Hof gelaufen, um die Tore an jedem Ende zu verschließen. Vorsichtig kletterte er Claas hinterher, sah noch einmal hinunter. Wie hoch er bereits war! Ein Sturz dürfte ernste Folgen haben. Seine Knie wurden weich, und doch kletterte er weiter.
    Als Simon sich die Dachschrägung hochzog, saß Claas bereits neben der Seilwinde. Er nahm an der Seite seines Freundes Platz, atmete tief ein, sah über die sodenbedeckten, grasbewachsenen Dächer der Tyskebrygge, die sich wie grüne Wellen auf den Horizont zuzuschieben schienen. Es war ein weiter Ausblick über die Dächer und die Mastspitzen bis hinaus auf das Meer, das zwischen den Berghängen glitzerte. Heute waren weitere Koggen eingelaufen, auch in ihren Hof waren noch mehr Kaufleute mit ihren Lehrjungen eingezogen. Während Vicus sich schon darauf gefreut hatte, dass auch er dieses Mal helfen durfte, die Neuankömmlinge zu quälen, empfand Simon nur Mitleid. Wenn sie wüssten, was auf sie zukam! Er würde sich keinesfalls an den grausamen Spielen beteiligen.
    »Warst du schon öfter hier oben?«, fragte er seinen Freund.
    Der Junge nickte, den Blick in die Ferne gerichtet. »Ein paarMal. Man kann nirgendwo so weit in die Ferne schauen wie hier über den Dächern. Man vergisst dann sogar das   ... da unten.«
    Simon sah ihn von der Seite an. Claas bekam als Jüngster die schlimmsten Aufgaben aufgetragen, sein Herr schubste ihn weiterhin herum. »Die nächsten Spiele   ... Wenn wir noch mal drankommen   ... Das stehe ich nicht durch«, gestand der Junge.
    Simon konnte ihm nicht verdenken, dass er an Flucht dachte. »Aber was willst du tun? Wo willst du hin?«, fragte er.
    Claas zupfte an seinen abstehenden Ohren. »Ich verstecke mich auf dem nächsten Schiff, das den Hafen verlässt. Ist mir egal, wohin es geht.«
    »Und dein Herr?
    »Der kann mich mal.« Simon nickte. Er konnte nur zu gut verstehen, was der Junge fühlte. Ein Stück weit war er sogar froh darüber, dass sein Freund fliehen wollte, denn wenn es stimmte, was man sich über die anderen Spiele erzählte   – dass die Lehrjungen mit Ruten bis aufs Blut geprügelt wurden beispielsweise   –, würde Claas sie vielleicht wirklich nicht überleben.
    Claas wandte sich Simon zu. »Und du   ... Kommst du mit?«
    Simon dachte eine Weile nach. Weglaufen? Aufgeben? Nikolas gewinnen lassen? Wie ein Feigling wieder in Lübeck auftauchen?
    Er schüttelte entschlossen den Kopf. »Nein, ich kann nicht. Aber wir zwei sehen uns wieder, irgendwann.«
    ~~~
    Sie kamen am frühen Morgen. Gesellen, die heftig nach Bier stanken. Sie legten die Lehrjungen kurzerhand über ihre breiten Schultern und schleppten sie in den Schütting. Simon war dabei. Claas, das blasse Gesicht wie versteinert. Vicus, heulend, wie so oft. Wenn Simon daran dachte, wie oft er Angst vor dem jungen Mann gehabt hatte, konnte er es kaum mehr glauben.
    »Ich dachte, wir sind jetzt dran! Mit Prügeln, meine ich. Die Neuankömmlinge sollen leiden! Was ist mit dem Rauchspiel? Wann kommt das?«, greinte Vicus verwirrt.
    Nikolas baute sich vor ihnen auf, den Ochsenziemer in der Hand, auch andere Gesellen hatten Riemen in den Händen.
    »Zum Denken bist du nicht hier, und die Regeln, die machen die anderen. Wann das Rauchspiel stattfindet, bestimmen wir. Jetzt steht uns erst einmal der Sinn nach einem anderen Spielchen.«
    Auf seinen Wink hin wurden sie bäuchlings über den Kannentisch geworfen und dort festgehalten.
    Nikolas erhob erneut die Stimme: »Unsere Regeln haltet ihr noch immer nicht ein. Ihr seid ungehorsam«, ein scharfer Schlag traf Simons Rücken, »vorlaut«, Vicus heulte laut auf, »und ungeschickt«, Claas wimmerte. »Beichtet eure Sünden und fleht um Verzeihung!«, forderte Nikolas und schlug erneut zu.
    »Verzeih! Verzeih!«, bettelte Vicus, doch Nikolas machte weiter.
    Simon biss die Zähne zusammen, hielt durch, auch als sein Hemd bereits in Stücke riss. Er wusste, dass Worte seinen Vetter nicht aufhalten würden. Nikolas schlug, weil er es wollte, und er würde so lange zuschlagen, bis er genug davon hatte. Erst als sein Rücken eine einzige Wunde war, als die Haut in Fetzen hing, bat Simon darum, dass sein Vetter endlich, endlich aufhörte.
    Und doch war es

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