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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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roch nach gebratenem Fleisch, nach Pferdemist und Erbrochenem. Adrian Vanderen drängte sich zu der Tribüne für die Patrizier, schob Betrunkene von sich, die durch die Menge taumelten und rauflustig andere anrempelten. Einige sahen aus, als wären sie schon seit Tagen nicht mehr nüchtern gewesen. Auf vielen Plätzen innerhalb der Stadtmauern fanden kleinere Kämpfe statt. Das eigentliche Torneisfeld befand sich jedoch nördlich der Stadt, nicht weit entfernt vom Gelände der ehemaligen holsteinischen Stadtburg, die, wie er inzwischen wusste, vor über einhundert Jahren nach dem Ende der dänischen Herrschaft von den Lübecker Bürgern geschleift worden war. Schon damals hatte es Rangkämpfe zwischen Adeligen und Bürgern gegeben.
    Eben war er an einer Prügelei vorbeigekommen. Ein Adeliger war offenbar mit einem Patriziersohn in einen Streit darüber geraten, wem der Vortritt gebührte. In einer Stadt mit einer so reichen Patrizierschicht wie Lübeck wurde es besonders deutlich, wie sehr sich die Welt verändert hatte. Es waren nicht mehr nur Adelige, die den Ton angaben und ihre Pracht auf Bällen und Turnieren feierten. Es waren heute die wohlhabenden Bürger, die sich bewundern und verehren ließen. Auch bei diesem Turnier traten die Bürger, Junker, wie sie sich nannten, in manchen Kampfgattungen gegeneinander an und bewiesen, dass siemit dem Adel mithalten konnten. Ja, nicht nur das. Ob Graf, Fürst, König oder Kaiser   – sie alle standen bei den Kaufleuten in der Kreide, waren von ihnen abhängig und nahmen sich doch die Frechheit, sie als ›Pfeffersäcke‹ zu verhöhnen. Dabei waren Turniere wie dieses vor allem für die Kaufleute eine herrliche Veranstaltung, lieferten sie doch die Harnische, die Waffen und die Stoffe etwa für die langen Schmuckdecken der Pferde. Die Kaufleute wurden reich an den Turnieren, und inzwischen hatten manche durchaus den Ehrgeiz entwickelt, ihren Wohlstand und ihre Macht zu demonstrieren.
    Die Wachen am inneren Schrankengeviert erkannten ihn wieder und nahmen ihre Spieße aus dem Weg. Wie gestern hatten sich auf dieser Holztribüne die Patrizier versammelt, in feinen Kleidern und mit Goldketten behängt, begleitet von ihren herausgeputzten Frauen und Töchtern. Auf der gegenüberliegenden Tribüne bot sich allerdings ein noch prächtigeres Bild. Unter Baldachinen saßen der Kaiser und die Kaiserin, vor ihnen tummelte sich ihr Gefolge. Adrian sah sich um. Hermanus von Osenbrügghe begrüßte ihn leutselig.
    »Der Kampf ist schon in vollem Gang. Bekommt Ihr nicht auch Lust, das Schwert zu schwingen, Herr Vanderen?«
    »Ich scheue den Kampf nicht, wenn Ihr das meint. Ein Turnier hat durchaus seinen Reiz. Aber ist es nicht so, dass hier nur Söhne Eurer Stadt antreten dürfen?«, gab er freundlich zurück.
    Abgesehen davon glaubte er kaum, dass er derzeit auf dem Kampfplatz eine gute Figur machen würde; seine Schulter verheilte zwar gut, schmerzte bei Anstrengungen jedoch noch immer heftig. Bruno Diercksen gesellte sich zu ihnen. Er stützte sich auf seinen Stock, wurde auf der anderen Seite von seiner Tochter gehalten. Jetzt machte er sich zärtlich los.
    »Lass deinen alten Vater nur, liebe Tochter, und leiste deiner Mutter Gesellschaft«, entließ er sie. Die junge Frau mit der hoch ausrasierten Stirn knickste. Folgsam ging sie zu einer Dame mitüppigen Rundungen, die an der Brüstung lehnte und sich einen Fächer vor das Gesicht hielt.
    »Mein Vicus hält sich tapfer«, sagte Diercksen und wies mit dem Gehstock in einen Ring, in dem zwei Männer sich im Schwertkampf maßen. Vicus Diercksens Antlitz war rot gefleckt, seine Bewegungen schwerfällig. Sein Widersacher wirkte hingegen eher lässig. Er war älter und eindeutig überlegen.
    Adrian sah sich nach Hartwig Vresdorp um, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Erst gestern war er mit ihm aneinandergeraten. Es ging um Geschäfte, die abgerechnet werden mussten, und ein Papier, auf dem Konrad Vresdorp die geplante Verlobung zwischen ihm und seiner Tochter Henrike festgehalten hatte. Adrian wusste, dass es dieses Schriftstück gab, aber Hartwig Vresdorp behauptete, er habe es nicht gefunden; damit war diese Vereinbarung null und nichtig. Seine Nichte würde ohnehin im Trauerjahr nicht heiraten, hatte Hartwig Vresdorp verkündet, und das schien ihm gut zupasszukommen.
    Adrian musste an das letzte Gespräch mit Jungfer Henrike denken. Hätte er ihr erklären müssen, wie es sich mit seinen Geschäften verhielt? Es war

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