Hansetochter
und zur Rechenschaft ziehen!
Sie stiegen in den Laderaum hinab, wo es muffig roch und das Bilgewasser an der Bordwand plätscherte. Auch hier kontrollierte der Schiffsbauer die Planken.
»Wir werden die Kogge auf Kiel legen müssen. Erst dann kann ich beurteilen, ob Planken und Klinker den nächsten Stürmen Stand halten werden. Von einem Piratenangriff ganz zu schweigen. Vor den Winterstürmen wird die Cruceborch wohl kaum mehr in See stechen können, Herr Vanderen.«
Adrian nickte nachdenklich. Genau das hatte er befürchtet.
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Mechthild Diercksen trippelte in die Diele hinein, ihr ausladender Busen hüpfte heftig. Ihre Tochter Drudeke hielt gemessenen Abstand und den Blick züchtig gesenkt. »Ich sehe, Ihr habt Euch schon etwas eingerichtet, Herr Vanderen«, sagte die Frau des Ratsherrn. Sie ließ ihren Blick über die kostbaren Tuche wandern, die Cord und Liv über Tische und Schrankflächen gebreitet hatten. Auch Adrians flämischer Wandteppich, den er stets mit sich führte, um seine Unterkünfte behaglicher zu gestalten, und das vorhandene Silberzeug entgingen ihrer Aufmerksamkeit nicht.
»Darf ich den Damen etwas anbieten?«, fragte Adrian. Er war von dem Besuch überrumpelt und schlug sein Handelsbuch zu. Liv, der ihn auch bei Tisch bedienen sollte, gab er einen Wink, rasch Getränke für die Damen zu holen. Als der Bootsjunge nicht reagierte, schnipste Adrian. Schließlich musste er ihm mit deutlichen Worten befehlen, gewürzten Wein zu bringen, doch da lehnte Mechthild Diercksen auch schon ab.
»Ich wollte nur sichergehen, dass Ihr alles habt, was Ihr benötigt. Aber ich sehe, sogar für Gesinde ist gesorgt.« Adrian bemerkte, dass Livs Wangen rot glühten, und unterdrückte ein Grinsen. Die Besucherin trat näher und wedelte so heftig mit dem Fächer vor ihrem Gesicht, dass auch Adrian den Windzug spürte. Ein durchdringender blumiger Geruch stieg ihm in die Nase.
»Werdet Ihr Euch auf dem Abschlussball für den Kaiser sehen lassen?«, fragte sie.
»Nein. Ich halte derartige Vergnügungen nach dem Tod meines Freundes und Geschäftspartners für verfrüht.«
Der Fächer verharrte vor der Mundpartie der Dame. »Wie bedauerlich für die Lübecker Damenwelt. Nicht oft werden so interessante Junggesellen in unsere Gesellschaft eingeführt. Aber der Winter ist noch lang. Es gibt viele Vergnügungen, zu denen die besten Kreise der Stadt laden. Dann werden wir Euch doch sicher begrüßen können?«
Er neigte den Kopf. Der Fächer klappte zusammen, ein zufriedenes Lächeln zeigte sich zwischen den runden Wangen der Frau.
Erst jetzt fiel Adrian auf, dass die Frau des Ratsherrn nur wenig älter als ihre Stieftochter war. Die Schminke hatte die eigentlich frischen Gesichtszüge zugedeckt. Auch Drudeke Diercksen war wieder stark geschminkt. ›Euretwegen werde ich bestimmt nicht zu diesen Vergnügungen gehen‹, dachte Adrian bei sich, ›aber Lübeck wird ja wohl noch andere reiche Töchter oder wohlhabende Witwen zu bieten haben.‹ Es musste doch mehr Frauen geben, die ihm gefielen. Und die ihn seine Gefühle für Henrike Vresdorp vergessen ließen.
9
N achdem sie das Tor durchfahren und die Zugbrücke überquert hatten, wandten sie sich gen Norden. Bauersfrauen kamen ihnen entgegen. In den Körben, die sie auf ihren Köpfen balancierten, leuchten rot die Äpfel. Männer schoben Karren mit Rüben, Kinder boten aus Reisig gebundene Besen zum Kaufe an. Etwas weiter an der Stadtgrenze entlang lag das Siechenhaus, und Henrike kam es vor, als könnte sie leise die Glöckchen hören, die die Gesunden vor den Leprakranken warnen sollten. Hatte ihr Vater auch den Siechenhäusern Geld vermacht, wie es üblich war? Würde sie seinen letzten Willen jemals erfahren, oder würde ihr Onkel sie im Unklaren lassen? Durfte er das überhaupt?
Der Weg war schlecht, heftig holperte der Wagen über Feldsteine und durch Schlaglöcher. Hätten sie nicht mit einem Boot die Trave hinauffahren können? So blieb nur die Herrenfähre, um den Weg abzukürzen. Schon wenig später hatte die Aussicht Henrike von dem Gerumpel abgelenkt. Sie fuhren durch eine sanft hügelige Landschaft mit weiten Eichen- und Buchenwäldern, immer wieder durchbrochen von kleinen Seen, auf denen buntes Herbstlaub schwamm. In der Ferne sahen sie Bauern die Felder pflügen. Oft führte ein Junge die Ochsen, ein Mann hielt den hölzernen Pflug in der Spur. Etwas weiter wurde bereits das Wintergetreide gesät. Hirten zogen mit den Schweinen in den
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