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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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Henrike in seine Mähne und führte es zum Gatter.
    »Komm, reiten wir ein Stück!«, forderte sie Katrine auf.
    »Warte!«, rief diese. »Wir dürfen nicht   ... Ich soll auf dich   ...«
    Doch Henrike hörte nicht mehr zu. Sie war bereits auf den Rücken der Stute geklettert und hatte die Waden in ihre Flanken gedrückt. Mit einem kleinen Ruck hatte sie sich in Bewegung gesetzt und war gleich darauf losgetrabt. Griseus lief munter bellend neben ihnen her. Ein Schwarm Vögel stob aus dem Küstenwald auf, als sie vorbeipreschten. Bald hatten sie den Strand erreicht. Er war flach und von Steinen übersät. Das Meer war unter den tief hängenden Wolken dunkelgrau, blitzte aber blaugrün auf, wenn die Sonnenstrahlen auf die Oberfläche trafen. Henrike ritt in den Ufersaum, den Blick in die Ferne gerichtet. Sie trieb das Pferd an und gab sich seinen rhythmischen Bewegungen hin. Auf einmal fiel alles von ihr ab, alle Anspannung wich. Die vielen Spielarten des Kummers, die sie in den letzten Tagen durchlitten hatte, waren für einen Moment vergessen, nur dieser Augenblick zählte. Sie lachte und weinte zugleich. Der Wind spielte in ihren Haaren und ließ die Tränen auf ihren Schläfen kitzeln. Erst als Griseus geräuschvoll hechelte und die Stute schnaufte, zügelte sie das Tempo. Sie sprang ab und streichelte dem Tier den Hals. In der Ferne sah sie etwas näher kommen: Es war Katrine, ebenfalls auf einem Pferd. Die junge Magd hatte wohl noch nicht oft auf einem Pferderücken gesessen und wurde ordentlich durchgerüttelt.
    »Ich soll doch bei dir bleiben, hat die Herrin gesagt!«, rief Katrine vorwurfsvoll, als sie Henrike erreicht hatte.
    »Das hast du ja auch geschafft!« Unwillkürlich musste Henrike lachen.
    Katrine rutschte unbeholfen von ihrem Pony. Zornig trat sie in den feinen Sand, dass er nur so aufspritzte.
    »Ja, lach nur über mich! Du hältst dich ja ohnehin für etwas Besseres! Du, in deinem feinen blauen Kleid«, brach es aus ihr heraus.
    Mit einem Schlag verging Henrike das Lachen. Das Mädchen wirkte auf einmal so ernst, so traurig, dass sie sich für ihreHeiterkeit schämte. Hatte Katrine nicht gesagt, dass sie erst vor Kurzem ihre Eltern verloren hatte? Die Trauer in ihr war noch frisch, so frisch wie in Henrike selbst. Ansonsten stimmte es: Ihre einfache Kleidung und das sonnengerötete Gesicht wies Katrine als Bauern- oder Handwerkerkind aus, von niedrigerem Stand also. Henrike trug ein blaues Kleid, das noch nicht einmal zu ihren besten gehörte und das für dieses Mädchen dennoch unerschwinglich war. Aber das gab ihr kein Recht, sich überheblich zu benehmen.
    »Entschuldige«, sagte Henrike. Sie setzte sich auf eine angespülte Baumwurzel und bat Katrine, sich zu ihr zu gesellen. Diese nahm pflichtschuldig Platz.
    Henrike sah das Mädchen von der Seite an. »Mein Vater ist letzte Woche gestorben. Ich war eben nur zum ersten Mal wieder für einen Moment   ... einfach glücklich. Trotzdem hätte ich dich nicht auslachen dürfen.«
    Katrine zwirbelte die Spitze ihres Zopfes. »Ach, schon gut«, sagte sie. »Ich mache keine gute Figur auf einem Pferd, das weiß ich selbst. Die Viecher jagen mir eine Heidenangst ein.«
    »Du bist nicht auf einem Hof aufgewachsen?«
    Katrine schüttelte den Kopf. »Nein, in Travemünde. Mein Vater war Gürtler. Meine Mutter   ...«, sie verstummte.
    »Woran sind sie gestorben?«, wollte Henrike wissen.
    »Sie konnten nichts mehr bei sich behalten. Krämpfe warfen sie aufs Lager, bis ihre Körper so ausgezehrt waren, dass die Seele aus ihnen entwich. Ich konnte nichts tun. Ich habe sie so sehr geliebt!« Das Mädchen schluchzte, Henrike strich ihr betroffen über den Rücken.
    »Und dein Vater?«, fragte Katrine nach einer Weile.
    Henrike biss sich auf die Lippe. »Ihn hat der Schlag getroffen«, sagte sie nur knapp.
    Eine Weile lauschten sie dem Klang der Wellen, die leise an den Strand schlugen.
    »Wie bist du an diesen Hof gekommen?«, fragte Henrike.
    Katrine erhob sich und warf ein Steinchen so über die Meeresoberfläche, dass es auf den Wellenkronen tanzte.
    »In ihrem letzten Willen haben meine Eltern festgelegt, dass die Herrin sich um mich kümmern soll. Es war merkwürdig, ich kannte sie kaum. Ich dachte, sie ist eine Kundin meines Vaters, wie alle anderen.«
    Henrike nahm auch einige Kiesel auf, versuchte es Katrine nachzutun, aber ihre Steine versanken einfach im Meer. Erst als Katrine ihr zeigte, wie es ging, gelang es ihr auch, einen Stein zweimal

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