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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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Henrike einen Wagen lenken könne. Als sie verneinte, drückte Asta ihr die Zügel in die Hand, sie solle es einfach versuchen.
    Ruckelnd setzte sich der Wagen in Gang, kläffend kamen die Hunde angelaufen und sprangen auf die Ladefläche. Die alte Frau gab Henrike Anweisungen, zeigte ihr, wie man das Pferd lenkte. Sie fuhren durch eine windgegerbte Landschaft, zwischen den schräg gewachsenen Bäumen blitzte immer wieder das Meer auf. Henrike verstand Astas Verhalten nicht. Wie konnte sie so tun, als sei nichts geschehen? Die Schritte des Gauls wurden langsamer, schließlich ließ er den Kopf hängen und zupfte Gras. Henrike zog an den Lederriemen, doch das Tier bewegte sich nicht. Da gingen ihr die Nerven durch.
    »Ich begreife das nicht. Du hast noch kein Wort zu Vaters Tod gesagt, dabei musst du ihn doch gut gekannt haben. Bist du so gefühllos? Oder bedeutet dir sein Tod rein gar nichts?«, brach es aus ihr heraus.
    Asta blieb stumm, ihr Blick ging in die Ferne. Sie schnalzte, und das Pferd setzte sich wieder in Bewegung.
    »Er bedeutet mir mehr, als du denkst«, sagte sie nach einer Weile. Aber anstatt zu erklären, was sie damit meinte, befragte sie Henrike zu den Umständen von Konrad Vresdorps Tod, zu seinem Begräbnis und dem Testament. Henrike berichtete aufgewühlt von den Ereignissen, erzählte aber auch von den Gemeinheiten des Onkels und ihrer Tante, den gescheiterten Heiratsplänen, der Bettlerin, den Sorgen über Simon und ihren Hausstand.
    Ihre Tante lauschte konzentriert, unterbrach sie kaum. Was sie hörte, schien ihr nicht zu gefallen.
    »Du warst also gar nicht dabei, als der letzte Wille deines Vaters verlesen wurde? Hartwig lässt Waren wegschaffen, behandelt deinen Bruder schlecht? Das sieht ihm so ähnlich!«, rief sie aus.
    »Was meinst du damit?«, wollte Henrike wissen, doch Asta antwortete nicht. Sie hatte einen Seeadler entdeckt und sah zu, wie er mit weit ausladenden Schwingen über dem Ufersaum kreiste. Auch Henrike ließ sich von seinem Anblick gefangennehmen, bewunderte die Leichtigkeit, mit der er in der Luft schwebte. Was waren sie dagegen für plumpe Wesen! Plötzlich erinnerte sie sich daran, dass sie und Simon als Kinder an diesem Strand oft glänzende Steine und Strandgut aufgelesen hatten, und ihre Brust schnürte sich zusammen. Wie es ihrem Bruder wohl ging? Sie sah ihn wieder vor sich, wie sie neulich noch im Speicher gespielt hatten. Wie kindlich und ernsthaft zugleich er gewesen war! Hoffentlich triezte Onkel Hartwig ihn nicht zu sehr.
    Asta riss sie aus ihren Gedanken.
    »Wenn es dir besser geht, kannst du dir ein Pferd geben lassen und ausreiten. Es ist hier einigermaßen sicher, auch wenn du Pfeil und Bogen und einen Dolch mit dir führen solltest. Du kannst doch damit umgehen?«
    Henrike verneinte.
    Asta lachte, als habe sie die Vorwürfe, die Henrike ihr gerade gemacht hatte, längst vergessen. Ihre braunen Augen glänzten warm in der Herbstsonne.
    »Ja, was hast du denn überhaupt in der Stadt gelernt? Wir haben viel zu tun, solange du hier bist.«
    An einem Findling bogen sie in einen Feldweg ab. Nach kurzer Zeit erreichten sie einen Platz, um den mehrere Höfe eine Art Hufeisen bildeten. Sofort wurden sie von Menschen in einfacher Bauernkleidung umringt, die Asta ebenso freudig wie ehrerbietig begrüßten. Ein Lagerfeuer brannte vor einem Hof, eine Greisin briet Fladen auf den Flammen. Von einem Holzgestell,auf dem ausgenommene Fische trockneten, zog ein stechender Geruch zu ihnen. Aus einer hohen Tenne, die zu beiden Seiten offen war, wehte die Spreu auf den Platz und schien dort zu tanzen. Im Takt der Dreschflegel sangen die Männer ein Lied. Andere rissen einen flachen Korb, den Worfel, in die Höhe, um mit Hilfe des Windes Spreu und Weizen voneinander zu trennen. Es musste eine kraftraubende Arbeit sein, denn ihre Gesichter und Muskeln waren bis zum Äußersten gespannt. Henrike sah aufmerksam zu   – nur selten hatte sie bisher Bauern bei ihrer Arbeit beobachtet.
    Eine Frau bat Asta, in eine der einfachen Hütten einzutreten. Sie führte sie zu einem Kind, das sich auf einem Strohlager im Fieberkrampf schüttelte. Asta nahm es ausführlich in Augenschein. Anschließend versorgte sie es mit Kräutern und Salben aus einem der bestickten Lederbeutel, die sie am Gürtel trug. Henrike konnte ihr dabei zur Hand gehen. Auch in anderen Hütten gab es Menschen, die Astas Hilfe brauchten. Als alle Kranken versorgt waren, folgte Henrike ihrer Tante in ein Haus, in dem

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