Happy End auf Sizilianisch
Hand in Hand über den Platz gingen, grüßten die Standbesitzer freundlich und respektvoll, und manche verwickelten ihn in ein Gespräch, bei dem sie seine Begleiterin neugierig und ziemlich unverhohlen musterten.
Bernardo schien das Interesse, das Angie auslöste, regelrecht zu genießen, und einen Moment lang hatte sie den Verdacht, dass er eine bestimmte Absicht verfolgte, wenn er sie den Dorfbewohnern vorstellte.
Doch ebenso schnell, wie er gekommen war, verwarf sie den Gedanken wieder. Bernardo und sie verband lediglich eine kurze Urlaubsbekanntschaft, und selbst ein noch so leidenschaftlicher Kuss konnte und sollte daran nichts ändern.
Als sie das nahe liegende Kloster erreichten, erhielt ihr Verdacht jedoch neue Nahrung, denn die Oberin trat aus der Tür und begrüßte Bernardo mit einer Herzlichkeit, für die Angie keinerlei Erklärung hatte. Und befremdet nahm sie zur Kenntnis, dass sie begrüßt wurde, als sähe die Ordensschwester in ihr die künftige Ehefrau Bernardos.
Zum Nachdenken blieb ihr allerdings keine Zeit, denn kaum hatte Mutter Francesca die beiden aufgefordert, mit ihr Tee zu trinken, kam eine Nonne herbeigeeilt und berichtete, im Ort sei ein Mädchen angefahren worden.
“Doktor Fortuno ist nirgends zu finden”, sagte sie aufgeregt. “Deshalb haben sie die Kleine auf unsere Krankenstation gebracht. Ich werde mich sofort um sie kümmern.”
“Trauen Sie sich das denn zu, Schwester Ignatia?”, fragte Mutter Francesca besorgt. “Schließlich ist es lange her, dass Sie als Krankenschwester gearbeitet haben.”
“Vielleicht kann ich Ihnen helfen”, sagte Angie, ohne zu zögern. “Ich bin Ärztin.”
“Sie schickt der Himmel”, erwiderte die Oberin erleichtert. “Es wäre uns allen eine große Beruhigung, wenn Sie nach der Kleinen sehen könnten. Vielleicht ist sie ja doch schwerer verletzt.”
Die Krankenstube war ein winziger Raum, der bestenfalls die Anforderungen an eine Erste-Hilfe-Station erfüllte. Auf dem Bett lag ein Mädchen von höchstens acht Jahren. Offensichtlich hatte es starke Schmerzen, denn es weinte unaufhörlich. An seiner Seite stand eine ältere Frau, die ganz in Schwarz gekleidet war. Selbst das weiße Haar war unter einem schwarzen Kopftuch verborgen.
Schwester Ignatia versuchte ihr in knappen Worten zu erklären, dass sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte, und zeigte dabei mehrfach auf Angie.
Womit sie das genaue Gegenteil dessen erreichte, was sie bezweckt hatte. Denn die Frau sprang auf und stellte sich schützend vor ihr Enkelkind, als wollte sie um jeden Preis verhindern, dass Angie sich ihm näherte. Offensichtlich hielt sie es für ausgeschlossen, dass es sich bei der jungen Ausländerin um eine Ärztin handeln konnte.
Doch das schien nicht der einzige Grund für ihre strikte Weigerung zu sein, ihr Enkelkind in Angies Obhut zu geben, denn immer wieder blickte sie entrüstet auf deren Kleidung und stieß dazu Verwünschungen aus.
“Nimm es nicht persönlich”, sagte Bernardo. “Ich habe dir ja schon gesagt, dass es auf Sizilien in vielerlei Hinsicht ziemlich altmodisch zugeht. Und für die ältere Generation gilt das ganz besonders.”
“Worüber regt sie sich denn so auf?”, fragte Angie verständnislos.
“Über die Tatsache, dass du eine Hose trägst”, erklärte Bernardo verlegen. “Es ist noch nicht lange her, da war das ein untrügliches Erkennungszeichen für Frauen, die … na ja, wie soll ich sagen …”
“Ich habe auch so verstanden”, fiel Angie ihm entrüstet ins Wort.
Bernardo hielt es für seine Pflicht, es wenigstens zu versuchen, die Großmutter des verletzten Kindes zu besänftigen. Zunächst hörte sie ihm auch aufmerksam zu, und Angie bekam den Eindruck, dass er ein besonders hohes Ansehen im Dorf genoss. Trotzdem gelang es auch ihm nicht, die Meinung der Frau zu ändern.
“Vielleicht können Sie die Dame davon überzeugen, dass ich nicht das bin, wofür sie mich hält”, wandte sich Angie kurz entschlossen an die Oberin, weil das Jammern des Kindes deutlich verriet, wie sehr es litt.
Mutter Francesca nickte und sprach beruhigend auf die Frau ein, deren Gesicht sich tatsächlich allmählich entspannte, bis sie endlich zur Seite trat.
Augenblicklich ging Angie zum Bett und untersuchte die kleine Patientin, deren Verletzungen glücklicherweise weniger schlimm waren als vermutet. Bis auf einige schmerzhafte Schürfwunden und Prellungen hatte sie noch einmal Glück gehabt. Behutsam reinigte und
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