Happy End auf Sizilianisch
desinfizierte Angie die Wunden, damit Schwester Ignatia sie verbinden konnte.
“In wenigen Tagen ist die Kleine wieder auf den Beinen”, teilte sie der Oberin mit. “Sicherheitshalber sollten Sie Doktor Fortuno zurate ziehen, wenn er zurück ist”, setzte sie in Gedanken an die Bedenken und Vorurteile hinzu, die ihr entgegengeschlagen waren. “Wenn er mit mir Rücksprache nehmen will, ist er mir jederzeit willkommen.”
Zum Abschied lächelte sie dem Kind zu, das mittlerweile aufgehört hatte zu weinen und das Lächeln dankbar erwiderte.
“Bei allem Verständnis für Traditionen”, sagte Angie zu Bernardo, als sie Hand in Hand den Marktplatz überquerten, “aber für das Verhalten der Frau fehlt mir jedes Verständnis. Sie hätte das Kind lieber sterben lassen, als es einer Frau anzuvertrauen, die in ihren Augen falsch angezogen ist!”
“Zum Glück hat sie ja auf die Oberin gehört”, wandte er beschwichtigend ein. “Einem Mann wäre das nie gelungen. Nicht einmal mir.”
Angie unterließ es, ihm auf seine überhebliche Bemerkung eine passende Antwort zu geben. Es hätte ihm sicherlich nicht gefallen, wenn sie ihn darauf aufmerksam machte, dass er den Brüdern Martelli und vor allem dem ältesten mehr glich, als er sich eingestehen wollte.
“Als ich noch ein Kind war, hatte meine Mutter eine Bekannte, die nicht die geringste Aussicht hatte, einen Ehemann zu finden, weil sie, wie meine Mutter es ausdrückte, 'nicht rein genug' war. Erst später habe ich herausgefunden, was ihr zum Verhängnis geworden war. Sie hatte sich mit einem Bekannten in einem Café getroffen.”
“Mehr nicht?”, fragte Angie bestürzt.
“Mehr nicht”, bestätigte Bernardo. “Ihr Ruf war für alle Zeiten ruiniert. In einer Gesellschaft, die so stark von den Männern dominiert ist wie unsere, haben es Frauen wahrlich nicht leicht. Erst recht, wenn sie in einer Kultur aufgewachsen sind, in der andere Regeln gelten.”
“Stammte sie denn nicht von hier?”
“Wer?”
“Die Frau, von der du gerade erzählt hast.”
“Daran erinnere ich mich nicht”, erwiderte Bernardo betreten. “Und jetzt lass uns auf dem schnellsten Weg nach Hause gehen. Stella wartet sicherlich schon mit dem Essen auf uns.”
Stella wartete nicht nur schon, sie hatte sich darüber hinaus selbst übertroffen. Der Tisch war festlich gedeckt, und es gab ein mehrgängiges Menü, das ausschließlich aus sizilianischen Spezialitäten zusammengestellt war.
Entsprechend lange zog sich das Essen hin, und als Stella den Kaffee brachte, verwickelte sie Angie in ein Gespräch über Kochrezepte.
“Das wurde auch Zeit”, sagte Bernardo erleichtert, nachdem seine Haushälterin sich endlich zurückgezogen hatte. “Seit wir in Montedoro angekommen sind, waren wir nicht eine Sekunde lang ungestört. Und jetzt ist der Tag, auf den ich mich so gefreut habe, schon wieder zu Ende.”
“Noch nicht ganz”, widersprach Angie in der Hoffnung, dass Bernardo ihre kaum verhohlene Aufforderung verstehen würde.
Augenblicklich stand er auf und kam zu ihr. Als er sich zu ihr hinunterbeugte, erwartete sie mit klopfendem Herzen seinen Kuss. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Lippen, da schrillte die Türklingel, und der Bann brach.
“Verdammt!”, platzte Bernardo heraus und richtete sich auf. “Wer kann das denn sein?”
Kurz darauf führte er Dr. Fortuno ins Wohnzimmer, der sich bei Angie bedanken wollte. Doch anstatt es dabei zu belassen, überschüttete er sie förmlich mit Erklärungen, warum er als Landarzt nicht immer dort sein konnte, wo er gebraucht wurde.
Je länger er von seiner Arbeit erzählte, desto mehr kam Angie zu dem Schluss, dass er zwar ein durchaus sympathischer Mann, dafür jedoch ein eher durchschnittlicher Arzt war, an dem die Fortschritte der Medizin in den letzten zehn Jahren spurlos vorübergegangen waren.
Das Gespräch wollte kein Ende nehmen, und Bernardo versuchte nach Kräften, seine Ungeduld zu verbergen. Als Dr. Fortuno endlich ging, waren zwei Stunden vergangen.
“
Malediri!”
, schimpfte Bernardo, nachdem er die Haustür geschlossen hatte. “Das war's dann wohl für heute. Ich befürchte, es wird höchste Zeit, dass ich dich nach Palermo zurückbringe. Die anderen werden sich schon fragen, wo du bleibst.”
“Das nehme ich auch an”, erwiderte Angie. “Zu schade, dass der Tag so zu Ende geht.”
Als sich ihre Blicke begegneten, war beiden klar, dass sie unmöglich jetzt aufbrechen konnten. Mit wenigen Schritten war
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