Happy End in Virgin River
der Verteidiger sofort begriffen, was er da verbockt hatte.
„Euer Ehren, dürfen wir vortreten?“, fragte Bries Anwalt.
Die Anwälte traten vor die Richterbank, und es folgte eine hitzige Diskussion, von der Brie jedes Wort verstand. Der Staatsanwalt trug vor, dass er das Recht hatte, dieser letzten Antwort nachzugehen, während der Verteidiger argumentierte, dass damit unzulässiges Beweismaterial in die Verhandlung eingeführt würde. Nach langem Hin und Her wies der Richter den Verteidiger darauf hin, dass er schließlich selbst die Tür dazu aufgestoßen hatte, und erteilte der Staatsanwaltschaft das Wort.
„Ms. Sheridan“, fragte der Staatsanwalt, „wie kann es sein, dass Sie nicht mit Sicherheit wissen, dass der Mann, den Sie nach dem Foto identifiziert haben, dieser Mann hier ist?“
„Weil ich mir zwar Fotos angesehen habe, ihn aber nicht nach einem Foto identifiziert habe.“
„Und wie haben Sie Ihren Vergewaltiger identifiziert?“
„Ich habe der Polizei seinen Namen genannt. Ich kannte ihn.“
„Und woher kannten Sie ihn?“
„Ich war bei der Bezirksstaatsanwaltschaft, als er mich vergewaltigt hat. Kurz vorher hatte ich ihn als Serienvergewaltiger von sechs Frauen angeklagt. Und ich hatte den Prozess verloren.“
Im Gerichtssaal brach ein solcher Lärm los, dass der Richter mehrfach seinen Hammer gebrauchen und damit drohen musste, den Saal räumen zu lassen.
Als es schließlich wieder ruhig war, fragte der Staatsanwalt sie: „Hat er noch etwas anderes zu Ihnen gesagt, Ms. Sheridan?“
„Ja. Er sagte: ‘Ich werde dich nicht töten. Ich will, dass du mich noch einmal anklagst und dann noch einmal zusehen musst, wie ich den Gerichtssaal als freier Mann verlasse.’“
Im ganzen Saal ertönte ein einziges, aufgebrachtes Stimmengewirr, während der Richter wieder und wieder seinen Hammer schlug. Aber es war der Augenblick, in dem Brie sich erlaubte, noch einmal zu Mike hinüberzuschauen. Ihre Mundwinkel deuteten ein ganz kleines Lächeln an, als sich ihre Augen begegneten und aneinander festhielten. Selbst über diese Distanz hinweg konnte sie den Stolz in seinem Blick erkennen. Liebe und Stolz und Hingabe. Er lächelte sie an und nickte ihr beinahe unmerkbar zu. Sie hatte es geschafft. Jetzt hatte sie ihn. Das war der Grund, weshalb sie hier war.
„Ich habe keine weiteren Fragen an Ms. Sheridan“, sagte der Staatsanwalt.
Der Verteidiger versuchte noch, seinen Fehler wieder auszubügeln, und fragte Brie, ob es vielleicht möglich wäre, dass sie es nur auf diesen Mann abgesehen habe, weil es ihr vorher nicht gelungen war, ihn zu überführen. Mit klarer und deutlicher Stimme und weil sie genau wusste, dass diese Möglichkeit im Schlussplädoyer des Verteidigers aufgegriffen würde, antwortete sie: „Und dann einen anderen Vergewaltiger da draußen herumlaufen lassen? Meinen Vergewaltiger? Ohne dass die Polizei wenigstens nach ihm sucht, weil sie ja glauben würden, den Verdächtigen gefasst zu haben? Wohl kaum .“
„Vielleicht konnten Sie Ihren Vergewaltiger ja auch gar nicht identifizieren, Ms. Sheridan, und sahen darin dann Ihre Chance, den Angeklagten zu verfolgen.“
„Einspruch“, rief der Staatsanwalt. „Euer Ehren!“
Der Richter senkte den Blick auf den Verteidiger. „War das jetzt eine Frage, oder versuchen Sie nur, herauszufinden, wessen es bedarf, um wegen Missachtung des Gerichts verwarnt zu werden?“
„Wäre das möglich, Ms. Sheridan?“
„Das wäre es nicht“, antwortete sie. „Ich sah ihn, ich erkannte ihn, ich habe ihn identifiziert.“
„Sie sind als Zeugin entlassen, Ms. Sheridan.“
Brie erhob sich auf wackligen Beinen, dankbar, dass sie es überstanden hatte und dass sie so stark gewesen war. Jetzt konnten sie ihn unmöglich laufen lassen. Auch nicht ein einziger der Geschworenen konnte jetzt noch den geringsten Zweifel haben. Und nachdem nun Powells Motivation für ihre Vergewaltigung deutlich geworden war, konnten sie sich auch noch einmal mit seiner Vergangenheit beschäftigen, seinen früheren Festnahmen.
Sie trat aus dem Zeugenstand und ging auf Mike zu. Dann brach sie zusammen.
Nachdem Brie ihre letzte Erklärung abgegeben hatte, konnte Mike sehen, wie ihr Gesicht erst blass, dann weiß wurde. Als sie den Zeugenstand verließ und anfing, auf ihn zuzugehen, bemerkte er, dass ihre Augen glasig wirkten und sie nicht mehr gerade gehen konnte. Als sie ohnmächtig wurde, sprang er auf. „Brie!“, schrie er. Der Wachtmeister hielt ihn
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