Happy Family
bald erkennen, dass wir füreinander bestimmt sind, und du wirst daraufhin deine Familie verlassen.»
«Das … das werde ich nicht», antwortete ich tapfer.
Dracula schwieg nun, bohrte nicht nach. Er schien zu allem Überfluss auch noch einfühlsam zu sein. Noch ein Vorzug gegenüber Frank. Und gebläht hatte er auch noch kein einziges Mal.
Anstatt weiter zu reden, gab Dracula mir einen leichten Kuss auf die Wange. Zärtlich. Mit Lippen, die sich samtweich anfühlten. Wohlig benommen wich ich ein paar Schritte zurück, stieß dabei mit dem Musikantenknochen gegen den Tisch und war unendlich dankbar für den Schmerz, der den Zauber des Kusses überlagerte.
Während der Schmerz nachließ, wurde mir klar: Damit diese Weissagung des zahnlosen Propheten niemals wahr wird, musste so einiges geschehen. Natürlich musste ich einerseits dafür sorgen, dass wir die Bettlerin wiederfinden und sie uns zurückverwandelt. Das war ja klar. Aber zusätzlich musste ich noch etwas anderes tun, um Draculas immenser Verlockung zu widerstehen: Ich musste aktiv dafür sorgen, dass ich mit meiner Familie glücklicher werde. Sehr viel glücklicher!
Als kurz darauf der Chauffeur losfuhr, war ich gleichermaßen erleichtert, nicht mehr in Draculas Nähe zu sein, wie betrübt darüber. Um mich von meinen gemischten Gefühlen abzulenken, blickte ich zurück auf das wunderschöne Anwesen, durch dessen Tor wir gerade fuhren, und fragte mich, wie Dracula sich wohl so viele Schlösser in aller Welt leisten konnte. Da ich mir selbst keine Antwort darauf geben konnte, fragte ich den Chauffeur danach. Der strich sich durch seine Jogi-Löw-Haarmütze und erklärte: «Wenn man unsterblich ist, muss man einen Geschäftssinn entwickeln, um nicht jahrhundertelang unter Brücken zu schlafen.»
Das klang logisch. Die Unsterblichkeit brachte also auch ganz handfeste Herausforderungen mit sich. Dracula schien diese mit Bravour zu meistern. Das machte ihn nicht gerade unattraktiver als Mann. Leider.
«Dem Meister», redete der Chauffeur weiter, «gehören mehrere Konzerne. Darunter auch einer, den er nach einem Mann aus seinem Heimatdorf benannt hatte. Einem Spanner namens Gugel.»
Dieser Konzern gehörte Dracula? Das erklärte den laxen Umgang des Internetunternehmens mit den Rechten anderer.
«Dann», so kombinierte ich, «wusste Dracula von mir durch deren Satelliten?»
Der Chauffeur knibbelte sich mit einem Male nervös an seinem linken Prince-Charles-Ohr.
«Hab ich etwa nicht recht?», fragte ich.
«Es steht mir nicht zu, mich zu solchen Dingen zu äußern», erklärte er und fuhr auf die Landstraße. Irgendwas Wichtiges schien er mir verheimlichen zu wollen.
«Sie wissen schon, dass ich eine Vampirin bin?», versuchte ich ihn ein bisschen einzuschüchtern, damit er mit der Sprache herausrückte.
«Ich trage ein Kreuz bei mir», entgegnete er, und allein der Gedanke daran ließ mich erschaudern. Aber ich war viel zu neugierig, um mich so leicht abwimmeln zu lassen, und drohte lächelnd: «Sie wissen doch auch, dass Ihr Meister auf mich steht. Und ich glaube, er wäre not amused, wenn ich ihm erzähle, dass Sie mich verführen wollten.»
«Das … will ich doch gar nicht!», protestierte er.
«Tja, dann steht wohl mein Wort gegen ihrs», grinste ich süffisant.
Charles-Jogi bekam es mit der Angst zu tun. Und ich erlebte, dass es mir durchaus Freude bereitete, jemandem Furcht einzuflößen. In diesem Moment verstand ich, warum so viele Menschen gerne Vorgesetzte waren.
«Es war so», knickte Chogi ein, «ich fuhr den Meister gerade zu seinem transsilvanischen Heimatschloss, da erschien plötzlich auf der Straße wie aus dem Nichts eine Frau … ich machte eine Vollbremsung …»
«Was?», unterbrach ich ihn. «Eine Frau aus dem Nichts?»
«Wenn ich es recht verstanden habe, war sie eine Hexe und berichtete von Ihrer Existenz, Madame. Mehr weiß ich leider auch nicht. Mein Herr stieg aus und sprach auf der Straße mit der Frau weiter.»
Das konnte nur Baba Yaga gewesen sein. Sie kannte Dracula also. Und hatte ihm von mir erzählt. Was bedeutete das? Hatte die Hexe mich etwa extra als Braut für Dracula erschaffen? Und wenn ja, was hatte sie damit bezweckt? Und warum hatte sie ausgerechnet mich ausgewählt? Es gab doch besseres Brautmaterial als mich, zumindest wenn ich meiner Schwiegermutter glauben durfte, die mir den wenig schmeichelhaften Spitznamen «die falsche Entscheidung» verpasst hatte.
Und noch ein Gedanke schoss mir
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