Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
entspannen.Mir blieb vor Schreck fast das Herz stehen, als ich plötzlich merkte, dass jemand in mein Zimmer gekommen war. Ich saß sofort senkrecht im Bett. Dann sah ich zu meiner Verwunderung, dass es Mama war. Sie schloss von innen ab, legte den Finger zu einem stummen »Psst!« an den Mund und deutete mit einer Handbewegung an, dass ich mich wieder hinlegen solle. Dann legte sie sich auf das kleine Sofa, das in meinem Zimmer stand. Das war ungewöhnlich und sehr beunruhigend. Mama hatte immer versucht, mich aus allem herauszuhalten. Dass sie bei mir Schutz suchte, war noch nie vorgekommen. Ich machte die Musik aus und legte die Kopfhörer weg. Merkwürdigerweise war es im ganzen Haus still, fast unheimlich. Natürlich konnte ich jetzt erst recht nicht schlafen. Ich lag da, starrte an die Decke und fragte mich, was das zu bedeuten hatte. Erst gegen Morgen fielen mir die Augen zu.
Ich wurde davon wach, dass es an die Tür hämmerte. »Komm sofort da raus!«, brüllte mein Vater. Dann begann er, gegen die Tür zu treten. Das Schloss bog sich, es war nur eine Frage kurzer Zeit, bis es nachgab. Weil ich von meinem Vater noch nie etwas hatte befürchten müssen, dachte ich, es sei das Beste, die Tür aufzumachen und ihm so den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er wusste ja vielleicht nicht, dass Mama bei mir war. »Bleib liegen, Mama«, flüsterte ich, bevor ich aufstand.
Doch sie hörte nicht auf mich. In dem Moment, als ich die Tür öffnete, stand sie schon hinter mir. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie mein Vater ihr einen Faustschlag ins Gesicht verpasste. Mama hielt sich das Gesicht und sackte zusammen. Sie begann sofort zu bluten wie verrückt. Ich stürzte zu ihr. Doch er zerrte sie an mir vorbei vom Boden hoch und begann, sie hart zu schubsen. Immer wieder. Sie taumelte in Richtung Treppe. Versuchte, sich zu fangen und am Geländer festzuhalten, doch verfehlte es um einen Zentimeter. Mein Vater schubste sie noch einmal. Und sie fiel. Die ganze Treppe fiel siehinunter, bis sie am unteren Ende liegen blieb. Der Mann, der ihr das angetan hatte, schritt daraufhin seelenruhig die Stufen hinunter, stieg einfach über sie hinüber, spazierte zur Haustür hinaus und ging zur Arbeit.
Ich war in Panik. Überall war Blut. Eimerweise. Ich brachte es irgendwie fertig, den Hausarzt anzurufen, der wiederum den Krankenwagen alarmierte. Ich holte Handtücher und Kissen und versuchte, die Blutung zu stillen. Nach Ewigkeiten war dann der Rettungswagen da. Doch als ich mit zu Mama in den Rettungswagen steigen wollte, hielten mich die Sanitäter zurück: »Bleib hier, Junge. Das ist nicht gut.«
Ich erinnerte mich an eine Szene vor ein paar Jahren, als ich Mama mal wieder übel zugerichtet gefunden hatte: Wie meine Mutter mir einmal erzählt hatte, dass sie unserem Hausarzt Dr. Harder gesagt hatte, ihr Mann schlage sie noch tot. Darauf hatte der Arzt erwidert: »Frau Glöckler, das schafft er nicht mehr, der hat Leberzirrhose im Endstadium.«
Ich ahnte, dass sie nicht mehr nach Hause kam. Am nächsten Tag holte mich Frau Singer ab und brachte mich und ihre Kinder in die Nachmittagsvorstellung eines kleinen Zirkus, der in Mühlacker gastierte. Dann fuhr sie ins Krankenhaus. Sehr viel später hat sie mir erzählt, dass Mama, die sich sonst nie beklagte, voller Sorge um meine Zukunft gewesen war, wenn sie nicht mehr wäre. Frau Singer hatte versucht, sie zu beruhigen, und gesagt, was man in solchen Situationen sagt: »Aber Frau Glöckler, nun machen Sie sich keine Gedanken. Sie werden doch wieder gesund!« Aber Mama hatte gewusst, dass sie sterben würde.
Drei Tage später war Mama tot. Sie war nur neununddreißig Jahre alt geworden.
Mein Vater zeigte nicht das geringste Schuldbewusstsein und hat Mama nach ihrem Tod sogar noch sezieren lassen. Diese Untersuchung ergab, dass sie an einem Blutgerinnsel gestorben war, das sich infolge des Sturzes aus ihren Krampfaderngelöst und im Gehirn festgesetzt hatte. Sie hat im Krankenhaus wieder behauptet, sie sei die Treppe heruntergefallen.
Wir hatten damals einen Rottweiler, Bella von Bühlertal, die Urmutter aller unserer Welpen. Als ich klein war, bin ich auf ihr geritten, sie war mein Pferd. So verrückt Bella nach mir war, sie liebte meine Mama, sie war ihr Frauchen, die Rudelführerin. Als Mama starb, war Bella schon alt – aber ich glaube trotzdem nicht, dass es Zufall war, dass sie einen Tag später erblindete und drei Tage später für immer einschlief.
Ich habe
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